Unruhiger Roman über eine seltsame Zeit.
In seiner Sendung „Druckfrisch“ vom 13.09.2020 hat Dennis Scheck dieses Buch „einen wunderbaren Erkenntnisblitz“ genannt. Hmm. Bei mir blitzten während der Lektüre keine größeren Erkenntnisse auf. Ein Wiedererkennen gab es aber durchaus, denn in Lola Randls zweitem Roman „Die Krone der Schöpfung“ schlägt sich eine namenlose Ich-Erzählerin durch die ersten Monate der Corona-Pandemie.
Die Hauptfigur googelt, lauscht Virologen, macht Homeschooling mit ihren Kindern, sorgt sich um ihre Mutter und fürchtet insgeheim, bereits erkrankt zu sein. Überdies muss sie sich mit Mann und Liebhaber auseinandersetzen, verliert einen Auftrag und beginnt, eine Zombieserie für Amazon zu schreiben: „Honka, Bar des Vergessens“ liest sich genauso trashig, wie es klingt und ist in „Die Krone der Schöpfung“ in 11 kurzen Kapiteln komplett abgedruckt. Überhaupt sind alle Kapitel kurz, viele umfassen gerade mal eine halbe Seite. Lola Randls Protagonistin ist höchst sprunghaft in ihren Gedanken, aber auch die Autorin springt nicht nur zwischen ihr und der Zombiserie hin und her, sondern auch noch zwischen der Perspektive einer Talkshowmoderatorin und der des US-Präsidenten.
Am Faszinierendsten fand ich allerdings die Einschübe zu Viren, Fledermäusen und Parasiten wie dem Kleinen Leberegel, die wie aus einem populärwissenschaftlichen Sachbuch wirken. Zudem ergänzen sie das Bild von der gegen ihre Verunsicherung ankämpfenden Ich-Erzählerin, die sich durch Aneignung ergoogelten Wissens zu beruhigen versucht. Der Erzählstil und das ambivalente Verhalten der Protagonistin verdeutlichen die Ungewissheit, die Widersprüchlichkeit und das Diffuse der Situation auf jeder Ebene.
Allerdings nutzt sich der eigenwillige Stil im Laufe dieses skurrilen Romans etwas ab. Es findet keine Entwicklung statt, sehr wenig wird zuende geführt. Das kann man Randl kaum zum Vorwurf machen, hat sie doch einen frühen Roman zu einer laufenden Pandemie vorgelegt, aber so richtig zufriedenstellend war das Leseerlebnis für mich nicht. Im Kosmos der Ich-Erzählerin bleiben außerdem alle anderen Figuren nicht nur namenlos, sondern auch blass, während ihr eigenes egozentrisches, überfordertes und kopfloses Verhalten immer schlimmer wird. Lösungen, Beruhigung oder einen hoffnungsvollen Ausblick bietet „Die Krone der Schöpfung“ nicht. Der Roman ist trotz aller Überspitzung sehr nah an der Realität – vermutlich wird man ihn in ein, zwei, drei Jahren anders lesen. Ich schaue dann bestimmt noch einmal rein.
Jetzt wünsche ich aber erst einmal allen hier Mitlesenden einen guten Rutsch in ein gesundes und glückliches Jahr 2021!
Verlag: Matthes & Seitz
Seitenzahl: 214
Erscheinungsdatum: 2. September 2020
ISBN: 978-3751800068
Preis: 18,00 € (E-Book: 12,99 €)
Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.