28. Februar 2022

Carolin Kebekus: Es kann nur eine geben

Pointierter Rundumschlag.

„Es kann nur eine geben“ – das klingt erstmal vertraut. Schließlich bläut Heidi Klum ihren „Meedchen“ seit Jahren ein, dass nur eine Germany’s Next Topmodel werden kann. Carolin Kebekus zeigt gleich auf den ersten Seiten ihres Buches auf, dass der Gedanke der einsamen Frau an der Spitze schon viel älter ist: Schneewittchen oder die Stiefmutter – nur eine kann die Schönste im ganzen Land sein. Aschenbrödel oder eine ihrer Stiefschwestern – nur eine wird den Prinzen heiraten. Und selbst beim weihnachtlichen Krippenspiel gibt es nur eine explizite Frauenrolle.


Scharfzüngig und pointiert macht Kebekus deutlich, dass Frauen die Konkurrenz zueinander fast schon in die Wiege gelegt wird – und nimmt sich selbst dabei nicht aus. Wenn man mit der Erkenntnis sozialisiert wird, dass nur eine die Schöne oder die Schlaue oder die Lustige sein kann, sind alle anderen Frauen eine Gefahr. Als Comedienne, der oft genug abgesagt wurde, weil man schon eine Frau in der Show hätte (und somit keine weitere bräuchte), wurde ihr bereits zu Beginn ihrer Karriere verdeutlich, dass es nur eine geben kann. Das Perfide: Wenn man mit dieser seltsamen Argumentation von Beginn an konfrontiert wird, neigt man auch noch dazu, sie hinzunehmen. Kebekus arbeitet diese Denkfalle in ihrem Buch auf und schildert, wie sie da wieder rausgekommen ist. Unterbrochen werden die Kapitel von Illustrationen, die ich nicht besonders lustig fand, und einer Liste mit allen deutschsprachigen Kolleginnen, die sich sehr beeindruckend liest. In der Comedyszene gibt es nicht nur eine Frau, es sind sehr, sehr viele, und Kebekus bereitet ihnen in ihrem Buch eine Bühne und plädiert dafür, andere Frauen zu würdigen, zu feiern und zu unterstützen. Nebenbei gewährt sie ihren Leser*innen einen Blick hinter die Kulissen des meist männlichen Unterhaltungsbetriebs – auch ganz spannend.

Doch es geht nicht nur um die eigenen Erfahrungen der Autorin. Carolin Kebekus setzt sich mit der katholischen Kirche auseinander, dem Abtreibungsparagrafen, dem Gender Pay Gap und noch vielen anderen Themen. „Es kann nur eine geben“ ist ein feministischer Rundumschlag voller treffsicherer Beobachtungen und beißendem Sarkasmus. Manchmal war mir die Schlagzahl etwas zu hoch – Kebekus steigt immer gleich voll ins jeweilige Thema ein und feuert pausenlos Pointen und Appelle ab. Wenn man ihre Sendungen kennt, kann man ihre Plädoyers beim Lesen fast hören. In Buchform sind es sehr viele auf einmal, das hat mich stellenweise etwas erschlagen. Aber ich habe aus dem Buch auch viele Denkanstöße mitgenommen. „Es kann nur eine geben“ ist definitiv lesenswert und steigert die Vorfreude auf die nächste Staffel der Carolin Kebekus Show.

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Seitenzahl: 352
Erscheinungsdatum: 7. Oktober 2021
ISBN: 978-3462001747
Preis: 18,00 € (E-Book: 14,99 €)

14. Februar 2022

Bernardine Evaristo: Manifesto - Warum ich niemals aufgebe

Fordernd und bereichernd.

Bevor ich ihr mit dem Booker Prize ausgezeichnetes Buch „Mädchen, Frau etc.“ gelesen habe, habe ich Bernardine Evaristo online als Keynote-Sprecherin erlebt und war beeindruckt, wie reflektiert, klar und lebendig ihr Vortrag war. Aus dem Grund habe ich mich auch sehr auf ihr „Manifesto“ gefreut, in dem die Autorin schildert, was sie antreibt und wie sie die wurde, die sie ist.


Gleich das erste Kapitel von Evaristos „Manifesto“ fand ich am packendsten: Hier geht es um „Herkunft, Kindheit, Familie, Ursprünge“ und die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen als viertes von acht Kindern in einer britisch-nigerianischen Familie. Wobei das nigerianische Erbe erst einmal keine große Rolle spielt, denn Evaristos Vater hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, pflegte keine Kontakte in seine Heimat und versuchte erst gar nicht, Sprache, Tradition o.ä. an seine Kinder weiterzugeben. Was allerdings für die Nachbarschaft bis hin zur Oma mütterlicherseits eine große Rolle spielte: seine Hautfarbe und die der Evaristo-Kinder. Die Autorin wurde 1959 in ein Land geboren, in dem ihr von klein auf vermittelt wurde, als person of colour keine echte Engländerin zu sein. Was es bedeutet, nur die englische Kultur zu kennen, ihr aber gleichzeitig nicht als zugehörig bzw. ebenbürtig angesehen zu werden, macht Evaristo für ihre Leser*innen annähernd erlebbar.

In weiteren Kapiteln beschäftigt sich die Autorin mit den Prägungen durch ihre wechselnden Wohnsituationen und ihr mindestens ebenso abwechslungsreiches Liebesleben, außerdem mit ihrer kreativen Entwicklung am Theater und schließlich als Autorin. Evaristo gewährt dabei zwar sehr persönliche Einblicke in ihr Seelenleben, bewahrt aber trotzdem eine gewisse Distanz, was vermutlich daran liegt, dass sie beim Schreiben ihres „Manifesto“ bereits um die 60 Jahre alt war und vor allem auf ihr deutlich jüngeres Ich zurückblickt. Vor allem die Einblicke in ihr Arbeitsethos und ihre Herangehensweise an den Schreibprozess fand ich interessant. Aber auch ihr Umgang mit den großen Themen Rassismus und Gender im Wandel der Zeit ist überaus reflektiert und bietet viele Denkanstöße. Bernardine Evaristo wirkt sehr ehrlich mit ihren Leser*innen, fordert sie aber auch mit komplexen Themen und Gedankengängen, die jedoch immer nachvollziehbar bleiben, weil sie eine Meisterin im Umgang mit Sprache ist (und die Übersetzerin Tanja Handels ihr Buch offensichtlich sehr gekonnt ins Deutsche übertragen hat). Wieder eine äußerst bereichernde Lektüre dieser Autorin.

Verlag: Tropen
Seitenzahl: 256
Erscheinungsdatum: 29. Januar 2022
ISBN: 978-3608500158
Preis: 22,00 € (E-Book: 16,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.