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28. Juli 2025

Gaea Schoeters: Das Geschenk

Spannendes Gedankenexperiment

2024 hat der botswanische Präsident Mokgweetsi Masisi angeboten, 20.000 Elefanten an Deutschland abzugeben. Als Reaktion auf ein hier diskutiertes Einfuhrverbot von Jagdtrophäen zürnte er: „Es ist sehr einfach, in Berlin zu sitzen und eine Meinung zu haben zu unseren Angelegenheiten in Botswana.“ Schoeter kreiert in ihrem neuen Roman ein Szenario, in dem nicht nur die deutsche Regierung die Chance bekommt, sich eine fundiertere Meinung zu bilden: 20.000 Elefanten machen von jetzt auf gleich die Hauptstadt unsicher – sie sind das titelgebende Geschenk. Der Bundeskanzler, der in diesem Buch Hans Christian Winkler heißt, hätte eigentlich auch schon ohne die Dickhäuter genug Probleme: Seine Partei schneidet in Umfragen schlecht ab, die Rechten werden immer stärker, bis zur nächsten Wahl ist es nicht mehr allzu lange hin …

Doch nun muss erst einmal das Zusammenleben von Mensch und Tier geregelt werden – auch kein Kinderspiel. Die Einwohner mancher Regionen Botswanas könnten ein Lied davon singen, das Land spielt in der weiteren Geschichte jedoch keine Rolle mehr.

„Das Geschenk“ liest sich kurz und knackig: Nur 144 Seiten hat diese schmale Satire. Die Autorin gestaltet die Reaktionen auf den durch die Elefanten verursachten, kuriosen Ausnahmezustand und seine Folgen vielschichtig aus und hat sich genauestens in die Situation hineingedacht. An dem abwegigen Szenario führt sie gekonnt bekannte Polit-Mechanismen vor. Schoeter zeigt mal elegant, mal brutal, dass Politik ein schmutziges Geschäft sein kann – von Taktierereien über Lobbyismus bis hin zu Bauernopfern. Manches Mal musste ich schmunzeln (wenn beispielsweise Winklers Amtsvorgängerin ihm verdeutlicht, dass man in diesem speziellen Fall mit der Parole „Wir schaffen das“ nicht weiterkommt), manchmal war ich auch verstört. „Das Geschenk“ ist völlig anders als Schoeters letztes Buch „Trophäe“, aber genauso ungewöhnlich. Ab und an hätte ich mir mehr Details und längere Ausführungen gewünscht, vielleicht auch eine zusätzliche private Perspektive auf die Elefanten-Invasion – Gaea Schoeters bleibt nämlich streng auf das politische Geschehen konzentriert. Insgesamt liest sich die Geschichte jedoch rund, überaus kurzweilig und desillusionierend.


Verlag: Zsolnay
Seitenzahl: 144
Erscheinungsdatum: 22. Juli 2025
ISBN: 978-3552075740
Preis: 22,- € (E-Book: 16,99 €)

Ich habe ein kostenloses Exemplar dieses Buches erhalten.

23. April 2020

Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten

Grotesk, furchtbar und gleichzeitig brillant.

Wie viele andere habe ich vor Jahren „Er ist wieder da“ gelesen und war begeistert. Ich stelle es mir schwierig vor, nach so einem Erfolg einen zweiten Roman nachzulegen – mit dem ersten Buch als Messlatte. Timur Vermes ist es aber gelungen, eine weitere zynische, aufrüttelnde und irgendwie auch geniale Satire zu schreiben, die gegenüber seinem Bestseller keineswegs abfällt.


„Die Hungrigen und die Satten“ spielt zu großen Teilen in Afrika, dem „Land der Tiger und Marabus“ – oder waren es doch Marlboros? Schon das Zitat lässt ahnen, wohin die Reise geht – nämlich dahin, wo es sehr, sehr weh tut. Autor Timur Vermes ist hauptberuflich Journalist für Boulevardzeitungen und scheint sich mit Medien generell bestens auszukennen. Er karikiert das Reality-Fernsehen aufs Übelste: Die strunzdumme, aber erfolgreiche Moderatorin Nadeche Hackenbusch soll im Rahmen einer mehrteiligen Sendung ein großes Flüchtlingslager besuchen, in dem über zwei Millionen Menschen leben, irgendwo in Zentralafrika, fernab jeder größeren Stadt. Die Idee ist simpel: Der Culture Clash soll medial ausgeschlachtet werden, denn: „Es ist nicht das Leben, das die besten Geschichten schreibt, es ist das Fernsehen.“ Hackenbuschs Aufgabe als „Engel im Elend“ sieht unter anderem vor, eine Modenschau mit Flüchtlingsfrauen zu organisieren und werbewirksam Push-up-BHs ihrer eigenen Marke zu verschenken. Das Format startet sehr erfolgreich und die Quoten gehen steil nach oben – während die Moderatorin ihrem Sender mehr und mehr entgleitet. Und nach drei Wochen täglichem Reality-TV ist klar: Die Show geht nicht planmäßig zu Ende, sondern hat gerade erst angefangen. Hackenbusch tritt zwar die Heimreise an, wählt dafür jedoch den Fußweg und hat neben den auf sie gerichteten Kameras auch noch 150.000 Flüchtlinge im Schlepptau. Mit 15 Kilometern pro Tag bewegt sich der Treck langsam, aber stetig, Richtung Europa. Und in Deutschland, dem Ziel der Menschen, werden verschiedene TV-Leute, Politiker und Bürger zunehmend nervös …

Kurz gesagt: Der Plot dieses Romans ist irre – und wahnsinnig gut durchdacht. Die Logistik des Ganzen malt Vermes seinen Lesern so einfach wie überzeugend aus. Einige seiner Protagonisten sind komplett überzeichnete Klischees – doch dann überrascht er auch wieder, zum Beispiel mit der unsäglichen Hackenbusch. Diese hat zwar den IQ eines Kastenbrots, entwickelt aber dennoch eine innere Haltung. Die sie begleitende Frauenzeitschriftenredakteurin Astrid von Roëll schwankt dagegen nonstop zwischen Selbstmitleid und Größenwahn, während sie ihre schwer zu ertragenden Schmalzgeschichten verfasst. Eine Hauptfigur ist ein namenloser Flüchtling, der gecastet und instrumentalisiert über sich hinauswächst und dabei eigentlich immer nur eine Perspektive jenseits des Flüchtlingslagers wollte. Und einer der wenigen Sympathieträger des Romans ist ausgerechnet ein CSU-Innenminister. Vermes macht es seinen Lesern ganz und gar nicht leicht.

„Die Hungrigen und die Satten“ ist eine Mediensatire, die ein komplett entseeltes Bild von Privatfernsehen und Boulevardjournalismus zeichnet, aber auch eine satte Wohlstandsgesellschaft mit komplettem Empathieverlust karikiert. Zum einen ist der Roman natürlich total überspitzt, zum anderen immer so nah an der Realität und mit derart vielen Bezügen zu ihr, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Absolute Empfehlung!
Gerade der heutige Welttag des Buches eignet sich übrigens wunderbar zum Kauf neuer Lektüre :-)

Verlag: Eichborn
Seitenzahl: 512
Erscheinungsdatum: 27. August 2018
ISBN: 978-3847906605
Preis: 22,00 € (E-Book: 9,99 €; ich habe die gebundene Ausgabe gelesen, der Roman ist aber am 31. Okober 2019 auch schon im Taschenbuch für 12,90 € erschienen.)