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2. August 2023

Joël Dicker: Die Affäre Alaska Sanders

Wiedersehen mit Marcus Goldman. 

Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.

Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!


Verlag: Piper
Seitenzahl: 592
Erscheinungsdatum: 1. Juni 2023
ISBN: 978-3492071963
Preis: 26,- € (E-Book: 18,99 €)

17. Mai 2023

Anthony Horowitz: Wenn Worte töten

Kurios, intelligent und unvorhersehbar. 

Der britische Autor Anthony Horowitz schreibt eine Krimireihe, in der der britische Autor Anthony Horowitz der Ich-Erzähler ist – schon das ist so kurios, dass es mich sehr neugierig gemacht hat. Ich habe allerdings erst durch den dritten Band davon erfahren und kann nun aus eigener Erfahrung sagen, dass man diesen unabhängig von den Vorgängerbüchern lesen kann, das aber so viel Spaß macht, dass man sich Band eins und zwei nach der Lektüre eh besorgen will.

In „Wenn Worte töten“ ist Hauptfigur Anthony Horowitz zu einem neuen, kleinen Literaturfestival auf der Kanalinsel Alderney eingeladen – zusammen mit Privatermittler Daniel Hawthorne, der ihn beauftragt hat, als Biograf über ihn zu schreiben. Obwohl die beiden schon eine längere Arbeitsbeziehung hinter sich haben, ist keine größere Vertrautheit oder gar Freundschaft bemerkbar. Horowitz ist allerdings sehr zufrieden, dass er diesmal nicht den Detektiv begleitet, sondern ein Heimspiel hat – mit Literaturfestivals kennt er sich aus, für Hawthorne sind sie unbekanntes Terrain. Als jedoch der Sponsor des Summer Festivals ermordet wird, ändert sich das schlagartig. Hawthorne hört sich um, scheint nebenbei jedoch auch noch eine ganz eigene Agenda zu verfolgen. Horowitz dagegen stellt wilde Überlegungen in alle Richtungen an und findet dabei vieles verdächtig, was mir als Leserin auch aufgefallen war. Überflüssig zu erwähnen, dass wir beide oft der gleichen falschen Fährte folgten.

Mir hat „Wenn Worte töten“ großen Spaß gemacht – die Selbstironie des Autors, der sich selbst als etwas tapsige, nur mittelmäßig erfolgreiche Hauptfigur eingesetzt hat, die Darstellung der anderen Schriftsteller und des Literaturbetriebs und letztendlich natürlich auch der Fall. Leicht irritiert hat mich nur, dass Hawthorne Horowitz beständig „Sportsfreund“ nennt. Ich musste jedes Mal an einen älteren Landadeligen denken, dabei ist der Privatermittler erst 39 Jahre alt und der Krimi spielt in der Gegenwart – dieser antiquierte Ausdruck passt da einfach nicht. Das englische „Pal“, was hier vermutlich übersetzt wurde, klingt in der Originalausgabe sicherlich geläufiger. Abgesehen von dieser Kleinigkeit liest sich „Wenn Worte töten“ wunderbar und ist ein intelligenter, literarischer Krimi mit unvorhersehbaren Wendungen.


Verlag: Insel
Seitenzahl: 333
Erscheinungsdatum: 17. April 2023
ISBN: 978-3458643739
Preis: 24,- € (E-Book: 20,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

2. Mai 2023

Lucy Clarke: One of the girls

Beste Spannungs-Unterhaltung. 

Sechs Frauen verbringen vier Tage in einer Strandvilla auf einer griechischen Insel – das könnte ein launiger Sommerroman sein. Lucy Clarkes „One of the girls“ ist allerdings eher in Richtung Thriller anzusiedeln: spannend, unvorhersehbar und voller Plot Twists.

Bella, Fen, Robyn, Eleanor und Ana kennen sich gar nicht alle untereinander, sind jedoch zur Feier des Junggesellinnenabschieds ihrer Freundin Lexi nach Griechenland gereist. Trauzeugin Bella will das perfekte Partywochenende organisieren, doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Zwar geben sich Lexi zuliebe alle Mühe, doch unter der Oberfläche brodelt es: Gut gehütete Geheimnisse drohen, ans Licht zu kommen, eigene Pläne werden verfolgt. Und dass die Hen Party mit einem Todesfall endet, wird schon auf den ersten Seiten angeteasert. Eine vielversprechende Ausgangsbasis!

Die britische Autorin Lucy Clarke lässt in kurzen Kapiteln alle sechs Protagonistinnen zu Wort kommen, wodurch schnell klar wird, dass Außendarstellung und Gefühlsleben längst nicht immer übereinstimmen. Was sie jedoch voneinander verbergen, bleibt lange im Unklaren und die kursiven Einschübe, die das Wochenende im Rückblick bewerten, ohne etwas zu verraten, tun ihr Übriges. „One of the girls“ ist ein Pageturner, der sich kaum aus der Hand legen lässt. Die Gruppendynamik scheint sich stetig zu verändern und mit jeder Enthüllung rückt die angeteaserte Katastrophe ein Stück näher. Nebenbei geht es um Freundschaft, Versöhnung, Liebe, Rache und Reue. Und dann kam doch vieles ganz anders, als ich vermutet hatte. Ein absolut gelungener Spannungsroman!


Verlag: dtv
Seitenzahl: 432
Erscheinungsdatum: 20. April 2023
ISBN: 978-3423263597
Preis: 15,95 € (E-Book: 12,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

9. April 2023

Sarah Goodwin: Stranded – Die Insel

Nicht komplett stimmiger Pageturner. 

„Stranded – Die Insel“ erinnert vage an den Klassiker „Und dann gab’s keines mehr“ von Agatha Christie: Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen auf einer abgeschiedenen Insel ohne Kontakt zum Festland. Es gibt Bündnisse und Zerwürfnisse, bis die Situation eskaliert. Und doch ist hier alles anders.

Eine Katastrophe führt fast zum Ende der Menschheit. Vier Frauen und vier Männer stranden auf einer einsamen Insel und versuchen, dort zu überleben. Alles, was sie brauchen, müssen sie mit ihren eigenen Händen sammeln, jagen oder erbauen … na ja, fast alles. Denn die TV-Produktionsfirma, die sich diese Ausgangssituation für ihre neue Show ausgedacht hat, hat einige Vorräte und Hilfsmittel auf der ansonsten verlassenen schottischen Insel Buidseach Isle deponiert.

Ich-Erzählerin Maddy nimmt aufgrund einer persönlichen Krise an der Show teil, um 11 Monate aus ihrem Leben zu flüchten – so lange soll das Fernsehexperiment dauern. Die Endzwanzigerin ist auf Pflanzenkunde spezialisiert. Ein anderer Teilnehmer angelt, einer geht in Richtung Prepper. Theoretisch sind die acht als Team gut aufgestellt, um über die Runden zu kommen. Wie es ihnen gelingt, dokumentieren über die Insel verteilte Kameras sowie die Body-Cams, die jeder der acht ständig trägt.

Zunächst scheint alles wie erwartet zu laufen: Eine Behausung entsteht und Vorräte werden angelegt. Maddy fühlt sich jedoch bald unwohl und hat den Eindruck, dass nicht alle gleich viel zum gemeinsamen Leben beitragen – und dass mehrere Leute speziell sie auf dem Kieker haben. Langsam aber sicher findet sie sich in einer Außenseiterrolle wieder. Aber es geht ja nicht wirklich um Leben und Tod, also kann eigentlich nichts passieren … Doch dann kommt nach Ende der Produktionszeit kein Boot, um die Teilnehmenden wieder abzuholen. Und als sie feststellen, dass sie tatsächlich auf sich allein gestellt sind, eskaliert die Situation in einem mörderischen Tempo …

Goodwin hält ihre Leserinnen und Leser bei der Stange und lässt sie dabei lange im Dunkeln tappen. Gleich zu Beginn des Buches ist klar, dass Maddy die Flucht von Buidseach Isle geglückt ist – mit einem Gewehr. Ihre Berichte vom Inselleben wechseln sich mit Szenen aus einem Fernsehinterview ab, das sie offensichtlich nach den Geschehnissen gibt. Was jedoch auf der Insel passiert ist, kommt erst nach und nach ans Licht … oder ist es doch nur Maddys Version von den Geschehnissen?

„Stranded – Die Insel“ liest sich spannend und gleichzeitig beklemmend. Die Gruppendynamik, die Einzelgängerin Maddy nicht wirklich versteht, entwickelt sich rasant und die Situation scheint immer bedrohlicher zu werden. Einige Charaktere bleiben dabei recht blass. Ich-Erzählerin Maddy scheint mit ihnen wenig zu tun zu haben, was bei insgesamt nur acht Gruppenmitgliedern allerdings verwundert. Es hat mich beim Lesen jedoch kaum gestört. Teile der Auflösung haben mich dagegen etwas enttäuscht, da ich sie einfach nicht komplett plausibel finde. Egal wie spannend ein Thriller ist – am Ende muss er auch stimmig sein, und das ist Goodwin leider nicht hundertprozentig gelungen. Dennoch war es für mich ein fesselndes Leseerlebnis.

Verlag: Lübbe
Seitenzahl: 400
Erscheinungsdatum: 31. März 2023
ISBN: 978-3404188789
Preis: 12,99 € (E-Book: 4,99 €)

Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.

22. Dezember 2022

Mhairi McFarlane: Fang jetzt bloß nicht an zu lieben

RomCom mit Humor und Tiefgang.

Mhairi McFarlane schreibt romantische Komödien, die sich durch Humor und Tiefgang auszeichnen – jeweils in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Maße. 08/15-„Girl Meets Boy“-Geschichten sind nicht ihr Ding, auch wenn Titel und Cover ihres neuesten Romans genau das nahelegen. Schade – ihren bisherigen Büchern hatte der Knaur Verlag einen verspielteren, originelleren Look verpasst. Dass bei „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ auch noch eine brünette Frau das Cover dominiert, nachdem schon auf den ersten Seiten die dicken blonden Haare der Hauptfigur eingehend beschrieben werden, lässt mir die Gestaltung etwas lieblos erscheinen.

Der Inhalt hat mich dagegen wieder mal gepackt. Mhairi McFarlanes Protagonistin Harriet ist passionierte Hochzeitsfotografin und mit dem wohlhabenden Jon liiert, der sie vergöttert. Dass er ihr am Hochzeitstag seiner Eltern vor der versammelten Familie einen Heiratsantrag macht, ist allerdings etwas voreilig. Bald darauf sucht Harriet eine neue Bleibe und wird eher zufällig die Mitbewohnerin von Cal, der vom Bund fürs Leben ebenso wenig zu halten scheint wie sie selbst. Als sie dann auch noch ihren Ex-Freund Scott wiedertrifft, ist das Chaos in Harriets Leben perfekt.

„Gaslighting“ war mir bisher nur vage ein Begriff, den Mhairi McFarlane jetzt mit viel Leben gefüllt hat: Es ist eins der zentralen Themen ihres Buches und mag Leser*innen überraschen, die in erster Linie eine Liebesgeschichte erwarten. Hier geht es eher um eine Mittdreißigerin, die ein paar unbequeme Entscheidungen treffen muss, um sich selbst treu zu bleiben. Die Spezialität von McFarlane sind extrem sympathische Hauptfiguren mit Schrammen, Ecken und Kanten. Und so ist mir „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ nahegegangen, hat mich zum Mitleiden und -lachen gebracht. Ein Pageturner, der viel facettenreicher ist, als sein Cover glauben machen will.

Verlag: Knaur
Seitenzahl: 432
Erscheinungsdatum: 1. Dezember 2022
ISBN: 978-3426529348
Preis: 12,99 € (E-Book: 9,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

23. Oktober 2022

Andreas Eschbach: Freiheitsgeld

Abzug in der B-Note. 

Bedingungsloses Grundeinkommen, Neubauten aus dem 3-D-Drucker, großflächige Naturschutzzonen überall in Deutschland - eine schöne neue Welt ist das, die Autor Andreas Eschbach für das Jahr 2064 entworfen hat. Mit dem sogenannten Freiheitsgeld richten sich die Figuren des gleichnamigen Romans völlig unterschiedlich ein: Sie hängen zugedröhnt zu Hause ab, gehen einem Job aus Leidenschaft nach oder zahlen einen hohen Preis, um sich besonderen Luxus leisten zu können, der Durchschnittsbürger*innen nicht mehr zur Verfügung steht. Eschbach gelingt ein faszinierendes, durchdachtes und dichtes Worldbuilding, das am besten funktioniert, wenn er es wie nebenbei in die Handlung einfließen lässt. Ein Teil der Informationen wird allerdings auch über längere Monologe und Gedankenstränge vermittelt. Dies wirkt nicht weniger stimmig, liest sich aber etwas aufgesetzt.

Ich habe mich sehr auf die Lektüre von „Freiheitsgeld“ gefreut und war gespannt, welche Dystopie Eschbach aus der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens entwickelt. Der Roman liest sich dann auch fesselnd und teilweise erschreckend. Einige Passagen haben mich allerdings ziemlich irritiert und mir so etwas Lesefreude genommen: Wenn es um Paarbeziehungen geht, von denen es in „Freiheitsgeld“ einige gibt, wird die Darstellung oft schwächer. Die Schilderung der meisten Charaktere bleibt sehr oberflächlich, stellt Interaktionen stereotyp dar und hat mich auch ab und zu verwirrt, da sich Protagonisten öfters unstimmig verhalten. Die Ausgestaltung neuer Lebenswelten liegt dem Bestseller-Autor offensichtlich mehr, als sich in zwischenmenschliches Verhalten einzufühlen.

Als zweite große Schwäche von „Freiheitsgeld“ empfinde ich, dass der Roman trotz gleich mehrerer Verbrechen, die ein junger, ehrgeiziger Polizist zu lösen versucht, sehr lange nur vor sich hinzuplätschern scheint. Die eigentliche Action kommt erst kurz vor Schluss und verpufft dann auch gleich wieder. Nach dem aufwändigen Worldbuilding bin ich doch etwas enttäuscht, wie unbedeutend die Rollen einiger Figuren letztendlich sind. Es bleibt das Gefühl, dass Eschbach aus „Freiheitsgeld“ mehr hätte machen können. Er hatte eine spannende Idee und beschreibt eine Welt, die so dicht an der Realität und dann doch wieder so anders ist, dass es mich gleichzeitig fasziniert und gegruselt hat. Die eigentliche Handlung und die von ihm geschaffenen Charaktere fallen dahinter zurück, als hätte der Autor auf ihre Ausgestaltung keine rechte Lust mehr gehabt. Wie schade, denn eigentlich hat „Freiheitsgeld“ alle Anlagen, um eine 5-Sterne-Bewertung zu bekommen.


Verlag: Lübbe
Seitenzahl: 528
Erscheinungsdatum: 26. August 2022
ISBN: 978-3785728123
Preis: 25,00 € (E-Book: 17,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

16. August 2022

Vera Kurian: P.S. Morgen bist du tot

Erfrischend anders. 

Eine düstere Villa, ein bedrohlicher Himmel und ein gruseliger Titel in dicken Lettern mit Kratzspuren: „P.S. Morgen bist du tot“. Nachdem ich mir dieses Cover eben nochmal angeschaut habe, war ich ganz froh, dass ich die alte Weisheit „Don’t judge a book by it’s cover“ oft beherzige. Denn dieser Thriller ist komplexer, raffinierter und interessanter, als sein 08/15-Äußeres (das in der E-Book-Version nicht ganz so gut rauskommt) glauben lassen will.


Vera Kurians Debüt beginnt mit dem Start ihrer Hauptfigur Chloe Sevre an der John Adams University in Washington. Auf den ersten Blick ist die junge Frau eine ganz normale Erstsemesterstudentin, doch der Schein trügt: Chloe ist Psychopathin und nimmt als solche an einer klinischen Studie der Universität teil – im Gegenzug erhält sie ein Vollstipendium. Und: Chloe plant, jemanden umzubringen … Doch noch bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen kann, geschieht ein anderer Mord in den Räumen der psychologischen Fakultät und es stellt sich die Frage, ob Täterin oder Täter zu den sieben psychopathischen Studienteilnehmern gehören. Oder war sogar das Opfer einer von ihnen?

Viele Kapitel des Thrillers sind aus Chloes Sicht erzählt und so blicken Leserinnen und Leser von Anfang an in ihre dunkle Seele. Die Hauptfigur ist berechnend, manipulativ, furchtlos und kaltschnäuzig –  und damit erfrischend anders als viele andere weibliche Thriller-Protagonistinnen. Mit fortschreitenden Kapiteln nimmt die Bedrohung stetig zu – sowohl die, die von Chloe ausgeht als auch die, der sie ausgesetzt ist. Doch es gibt auch noch andere Protagonisten, denen man näherkommt. Und so ist schnell klar: Psychopath ist nicht gleich Psychopath; die menschliche Seele hat viele Facetten. Deren Schilderung ist Vera Kurian faszinierend gelungen.

Ein, zwei Wendungen mögen etwas unlogisch sein, aber doch nicht so sehr, als dass ich es als störend empfunden hätte. „P.S. Morgen bist du tot“ ist vor allem originelle und süchtig-machende Thriller-Unterhaltung; spannend und ungewöhnlich.

Verlag: Lübbe
Seitenzahl: 448
Erscheinungsdatum: 24. Juni 2022
ISBN: 978-3404187959
Preis: 12,99 € (E-Book: 11,99 €)

27. Juli 2022

Judith Taschler: Über Carl reden wir morgen

Komplex, abwechslungsreich und überraschend bis zum Schluss. 

Je besser mir ein Roman gefällt, desto schwieriger finde ich es, ihm in einer Rezension gerecht zu werden. Vor der Besprechung von „Über Carl reden wir morgen“ habe ich mich jetzt schon einige Tage gedrückt – dabei verdient Judith Taschlers neuestes Buch eine eindeutige Weiterempfehlung.

Die Autorin hat hier eine Familiensaga über drei Generationen geschaffen, die sich vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entfaltet. Die Bruggers sind eine Müllerfamilie im oberösterreichischen Mühlviertel; mehrere Familienmitglieder werden in den einzelnen Abschnitten des Buches länger begleitet. Es beginnt mit den Geschwistern Anton und Rosa, die gänzlich unterschiedliche Lebenswege einschlagen: Er übernimmt die Mühle der Eltern, während die junge Rosa heimlich als Dienstmädchen nach Wien geht, statt wie erwartet im Dorf zu bleiben, Eltern und Bruder zu unterstützen und zu heiraten. Die Geschwister sehen sich erst viele Jahre später wieder, als bereits die nächste Generation heranwächst; Anton Brugger hat inzwischen vier Kinder. Sein einziger Sohn wird ebenfalls vierfacher Vater, strebt aber nach Höherem, als nur dem Müllerhandwerk nachzugehen. Sein Leben wie auch das seiner Zwillingssöhne Eugen und Carl wird stellenweise detailliert geschildert. Dabei zeigt sich, dass Judith Taschler die Kurz- und Langstrecke gleichermaßen beherrscht: Detailszenen aus den Leben ihrer Protagonisten werden so ausgearbeitet, dass man mitfühlen und -fiebern kann; dann wiederum verfliegen nur knapp geschilderte Jahre und Figuren, deren Gefühlswelt man zwischenzeitlich sehr nah war, werden Leserinnen und Lesern wieder fremder. Kunstvoll wird Taschlers Erzählweise nicht zuletzt durch das Ellipsenhafte; oft lässt die Autorin Teile der Geschichte aus und greift sie erst mehrere Kapitel später aus der Sicht einer anderen Figur wieder auf. So gibt es manchen Cliffhanger, der Leserinnen und Leser gespannt zurücklässt, bevor die Geschichte ab einem früheren Zeitpunkt aus einer anderen Perspektive geschildert wird. Nach und nach fügt sich ein immer stimmigeres Gesamtbild wie ein Mosaik zusammen, dessen letzte Teilchen erst auf den finalen Seiten zum Vorschein kommen. Und so bleibt dieser Roman über Liebe, Tragik und Leid durchgängig spannend und enthüllt mehrmals Überraschendes über Protagonisten, die man schon gut zu kennen glaubte. Es ist lange her, dass ich „Die Deutschlehrerin“ gelesen habe, aber ich erinnere mich, dass bereits Taschlers Erstling bewies, dass die klare Einteilung in Gut und Böse so gar nicht ihr Ding ist. Die Autorin hat ein Faible für komplexe Charaktere – auch der moralisch Integere kann eine Tat begehen, die man ihm nie zugetraut hätte; auch der brutale Fiesling kann jemanden lieben. Taschlers Figuren sind allesamt fehlbar und handeln mitunter widersprüchlich – das macht sie so realistisch.

Die einzigen Kapitel, bei denen mir die Leselust leicht verging, waren die Schilderungen des Ersten Weltkriegs, in dem eine der Hauptfiguren kämpft – nicht, weil sie nicht gelungen wären, sondern weil sie einem Gemetzel und Elend so nahebringen, dass es schwer auszuhalten ist. Doch Judith Taschler wird diesen Kapiteln genauso gerecht wie jenen, die sich um zwischenmenschliche Beziehungen drehen. Ich bin jetzt schon sehr gespannt auf die geplante Fortsetzung, die die Autorin angekündigt hat. Denn die Geschichte der Bruggers scheint noch nicht auserzählt; das offene Ende lässt viel Raum für Spekulationen. „Über Carl reden wir morgen“ – und von den Bruggers lesen wir hoffentlich bald wieder!

Verlag: Zsolnay
Seitenzahl: 464
Erscheinungsdatum: 11. April 2022
ISBN: 978-3552072923
Preis: 24,00 € (E-Book: 17,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

27. April 2022

Jan Weiler: Der Markisenmann

Mit den Puhdys durchs Ruhrgebiet. 

Dieses Buch ist ohne Frage ein Hingucker. Haptisch macht es etwas her; der Leineneinband fühlt sich gut an. Und es ist toll, dass es den Leserinnen und Lesern Kopenhagen auf dem Einband und Mumbai auf dem Vorsatz zeigt – allerdings nicht die Städte, die dürfte auch keine der Hauptfiguren schon einmal besucht haben. Nein, hier geht es um gleichnamige Markisenmuster.


Dass Markisen in Jan Weilers neuestem Roman eine tragende Rolle spielen, macht schon der Titel „Der Markisenmann“ deutlich. „Der Markisenmann“ heißt eigentlich Ronald Papen und ist der Erzeuger der 15-Jährigen Kim, die ohne Kontakt zu ihm zusammen mit Mutter, Stiefvater und Halbbruder im noblen Köln Hahnwald lebt. Doch nach einem schrecklichen Unglück fährt Kims Familie ohne sie in den Miami-Urlaub und schickt sie über die Sommerferien zu Ronald Papen, der in einem relativ verlassenen Gewerbegebiet im Duisburger Stadtteil Ruhrort eine Lagerhalle bewohnt und 3.406 Markisen sein Eigen nennt. Um diese zu verkaufen, bereist er so systematisch wie erfolglos das Ruhrgebiet. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Freunden im Gewerbegebiet, auf den ersten Blick ebenso gescheiterte Existenzen wie er.

Das Ganze ist sicher kein Traumurlaub für eine 15-Jährige, doch Kim arrangiert sich nach ein paar Tagen mit diesen ungewohnten Ferien. Sie lernt von den Freunden ihres Vaters einiges über Fußball, Wetten und Skat. Sie trifft den fast gleichaltrigen Alik, der sich für Recycling begeistert. Und schließlich begleitet sie ihren Vater auf seinen Verkaufstouren, hört mit ihm die Puhdys (den Soundtrack zum Buch kann ich nur empfehlen, er passt perfekt) und versucht, den Markisenverkauf mit kreativen Methoden anzukurbeln.

„Der Markisenmann“ beginnt mit einem schnellen Abriss von Kims Jugend in Köln Hahnwald, um sich dann einem langen, heißen Sommer zu widmen. Hitze, Gewerbegebietsgeruch und Ereignislosigkeit werden hierbei fast greifbar, doch auch der raue Charme des Ruhrgebiets verfängt und macht aus „Der Markisenmann“ einen kuriosen Lesegenuss. Erst gegen Ende nimmt der Roman nochmal richtig an Fahrt auf – und das auf eine Art und Weise, die ich nicht hatte kommen sehen und gleichzeitig rund und überzeugend fand. Jan Weiler ist ein sehr ungewöhnliches Buch gelungen, dessen originelle Figuren mir in Erinnerung bleiben werden. „Der Markisenmann“ lässt sich kaum in eine Schublade stecken, wartet aber mit liebenswerter Skurrilität und Tiefgang auf, wenn man sich auf die zunächst absonderlich anmutende Geschichte einlässt.

Verlag: Heyne
Seitenzahl: 336
Erscheinungsdatum: 21. März 2022
ISBN: 978-3453273771
Preis: 22,00 € (E-Book: 17,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

31. März 2022

Liane Moriarty: Eine perfekte Familie

Hinter der Fassade.

Der letzte Roman von Liane Moriarty, „Neun Fremde“, hat mich begeistert, weswegen ich mich auf das neue Buch der australischen Autorin sehr gefreut habe. „Eine perfekte Familie“ ist ebenfalls ein Lesevergnügen, aber nicht ganz so abwechslungs- und temporeich wie sein Vorgänger.


„Eine perfekte Familie“ – gibt es das überhaupt? Die Delaneys wirken zumindest so: Joy und Stan haben sich bereits als junge Erwachsene und passionierte Tennisspieler kennen und lieben gelernt, gemeinsam eine Tennisschule gegründet und vier Kinder bekommen. Inzwischen sind die beiden um die 70 Jahre alt, der Nachwuchs ist längst ausgezogen und die Tennisschule seit Kurzem verkauft. Zeit für den wohlverdienten Ruhestand – den aber beide nicht so richtig genießen können. Zumindest Joy weiß, wer ihr die Rente versüßen könnte: Enkelkinder! Doch weder ihre beiden Töchter noch die zwei Söhne machen Anstalten, sich fortzupflanzen. Und so richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf jemand anderes, der plötzlich abends vor ihrer Tür steht: Savannah, eine junge Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist und auf gut Glück bei den Delaneys angeklopft hat.

Diese Ausgangssituation baut sich langsam und in Rückblenden auf, während bereits der Prolog des Romans mit der Tür ins Haus fällt: Wenige Monate nach den geschilderten Ereignissen ist Joy verschwunden. Zurück bleiben eine kryptische SMS, die sie an ihre Kinder geschickt hat, und Ehemann Stan, der sich nicht groß um sie zu sorgen scheint und auch anderweitig verdächtig wirkt. Doch wie konnte das passieren – und was ist überhaupt geschehen? Liane Moriarty wechselt zwischen zwei Zeitebenen und mehreren Erzählperspektiven: In den Rückblenden erzählt die später verschwundene Joy oft ihre Sicht der Dinge, doch es sind auch immer wieder Kapitel aus den Perspektiven ihrer vier Kinder geschrieben. Letztere sind außerdem meist die Erzähler der im Jetzt spielenden Abschnitte, doch auch die Ermittlerin, die Joys Verschwinden untersucht, kommt mehrfach zu Wort. Nach und nach wird klarer, was in der Vergangenheit passiert ist – wobei die Rückblenden durchaus kleine Längen haben. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass die Delaneys eine Tennisfamilie sind und der Sport eine große Rolle spielt.

Sehr gelungen sind der Autorin die Einblicke in das scheinbar perfekte Familienleben. Charakterstudien sind Moriartys große Stärke und ihre Enthüllungen rund um die einzelnen Biografien lesen sich packend. Wie sich am Ende alle Puzzleteile zusammenfügen, ist grandios: unvorhersehbar, aber absolut stimmig. Und so macht „Eine perfekte Familie“ durchaus Spaß, auch wenn dem Roman ein paar Straffungen hier und da gutgetan hätten.

Verlag: Diana Verlag
Seitenzahl: 560
Erscheinungsdatum: 8. März 2022
ISBN: 978-3453292604
Preis: 22,00 € (E-Book: momentan 4,99 €!)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

28. Februar 2022

Carolin Kebekus: Es kann nur eine geben

Pointierter Rundumschlag.

„Es kann nur eine geben“ – das klingt erstmal vertraut. Schließlich bläut Heidi Klum ihren „Meedchen“ seit Jahren ein, dass nur eine Germany’s Next Topmodel werden kann. Carolin Kebekus zeigt gleich auf den ersten Seiten ihres Buches auf, dass der Gedanke der einsamen Frau an der Spitze schon viel älter ist: Schneewittchen oder die Stiefmutter – nur eine kann die Schönste im ganzen Land sein. Aschenbrödel oder eine ihrer Stiefschwestern – nur eine wird den Prinzen heiraten. Und selbst beim weihnachtlichen Krippenspiel gibt es nur eine explizite Frauenrolle.


Scharfzüngig und pointiert macht Kebekus deutlich, dass Frauen die Konkurrenz zueinander fast schon in die Wiege gelegt wird – und nimmt sich selbst dabei nicht aus. Wenn man mit der Erkenntnis sozialisiert wird, dass nur eine die Schöne oder die Schlaue oder die Lustige sein kann, sind alle anderen Frauen eine Gefahr. Als Comedienne, der oft genug abgesagt wurde, weil man schon eine Frau in der Show hätte (und somit keine weitere bräuchte), wurde ihr bereits zu Beginn ihrer Karriere verdeutlich, dass es nur eine geben kann. Das Perfide: Wenn man mit dieser seltsamen Argumentation von Beginn an konfrontiert wird, neigt man auch noch dazu, sie hinzunehmen. Kebekus arbeitet diese Denkfalle in ihrem Buch auf und schildert, wie sie da wieder rausgekommen ist. Unterbrochen werden die Kapitel von Illustrationen, die ich nicht besonders lustig fand, und einer Liste mit allen deutschsprachigen Kolleginnen, die sich sehr beeindruckend liest. In der Comedyszene gibt es nicht nur eine Frau, es sind sehr, sehr viele, und Kebekus bereitet ihnen in ihrem Buch eine Bühne und plädiert dafür, andere Frauen zu würdigen, zu feiern und zu unterstützen. Nebenbei gewährt sie ihren Leser*innen einen Blick hinter die Kulissen des meist männlichen Unterhaltungsbetriebs – auch ganz spannend.

Doch es geht nicht nur um die eigenen Erfahrungen der Autorin. Carolin Kebekus setzt sich mit der katholischen Kirche auseinander, dem Abtreibungsparagrafen, dem Gender Pay Gap und noch vielen anderen Themen. „Es kann nur eine geben“ ist ein feministischer Rundumschlag voller treffsicherer Beobachtungen und beißendem Sarkasmus. Manchmal war mir die Schlagzahl etwas zu hoch – Kebekus steigt immer gleich voll ins jeweilige Thema ein und feuert pausenlos Pointen und Appelle ab. Wenn man ihre Sendungen kennt, kann man ihre Plädoyers beim Lesen fast hören. In Buchform sind es sehr viele auf einmal, das hat mich stellenweise etwas erschlagen. Aber ich habe aus dem Buch auch viele Denkanstöße mitgenommen. „Es kann nur eine geben“ ist definitiv lesenswert und steigert die Vorfreude auf die nächste Staffel der Carolin Kebekus Show.

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Seitenzahl: 352
Erscheinungsdatum: 7. Oktober 2021
ISBN: 978-3462001747
Preis: 18,00 € (E-Book: 14,99 €)

31. Januar 2022

Horst Evers: Wer alles weiß, hat keine Ahnung

Amüsant und abstrus – ein echter Evers.

Horst Evers letzte Anekdotensammlung hatte mir nicht ganz so gut gefallen wie ihre Vorgänger, doch sein neuestes Werk wollte ich als Fan trotzdem lesen. Und wurde nicht enttäuscht: „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ kommt wieder mehr an die ersten Bücher des Autors ran. Wie so oft erzählt Evers skurrile Alltagsgeschichten, die trotz ihrer Abstrusität irgendwie immer noch vorstellbar sind und mich dauerschmunzeln ließen. Sie spielen in Berlin, seiner norddeutschen Heimat Diepholz oder irgendwo unterwegs. Sie handeln von der Familie, Freunden und Zufallsbekanntschaften und sie haben meist eine überraschende Pointe. Evers ist einfach ein Lesevergnügen.


Als liebgewonnenes wiederkehrendes Element hält diesmal ein Baugerüst her. Sehr gut gefallen hat mir auch die in loser Reihenfolge erzählte Serie „Mein Leben in dreizehn Berufen“, wobei mir die einen Abend währende Kochkarriere des Autors als „linke Hand Gottes“ besonders in Erinnerung geblieben ist.

„Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ wurde im Frühjahr 2021 veröffentlicht und so erstaunt es nicht, dass auch Corona Erwähnung findet – allerdings nicht immer wieder, sondern gesammelt auf 20 Seiten, die den schönen Titel „Hundert Tage im Quark – als die Welt coronastill stand“ tragen. Den Rückblick auf die ersten Pandemie-Monate hätte ich nicht unbedingt gebraucht, aber vielleicht hätte ohne dieses Zeitzeugnis auch etwas gefehlt. In jedem Fall kann ich Evers für amüsante Alltagsfluchten mal wieder empfehlen!

Verlag: Rowohlt Berlin
Seitenzahl: 240
Erscheinungsdatum: 26. Januar 2021
ISBN: 978-3737100991
Preis: 20,00 € (E-Book: 14,99 €)

26. Januar 2022

Karen M. McManus: You will be the death of me

Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Gleich vorweg: Der klangvolle Titel hat mit dem Inhalt des Romans eigentlich gar nichts zu tun. Wobei es tatsächlich einen Toten gibt, der aber nicht mehr zur Analyse seiner Situation kommt und sowieso nur eine Randfigur ist. „You will be the death of me“ dreht sich um drei 16-Jährige, die vor ein paar Jahren mal bestens befreundet waren: Ivy, Mateo und Cal. Auftakt ihrer Freundschaft war der „genialste Tag aller Zeiten“, als sie sich heimlich bei einem Schulausflug nach Boston abgesetzt haben. Seitdem hat sich viel getan und obwohl sie nach wie vor in der gleichen Stufe sind, haben sie keinen Kontakt mehr zueinander. Doch an einem schicksalhaften Morgen laufen sich die drei auf dem Parkplatz vor der Schule über den Weg und beschließen aus einer Laune heraus, den „genialsten Tag aller Zeiten“ zu wiederholen – nichtahnend, dass ihnen stattdessen ein Albtraum bevorsteht …


„You will be the death of me” ist ein Jugendbuch, das sich mühelos in einem Rutsch durchlesen lässt. Die Geschehnisse werden abwechselnd aus Ivys, Mateos und Cals Perspektive geschildert und schnell wird klar, dass alle drei ihre kleinen und größeren Geheimnisse haben. Dazu kommt an diesem Tag ein fatales Timing, das eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die niemand hat kommen sehen – auch als Leser*in wird man immer wieder überrascht. Dabei sind nicht alle Zufälle und Zusammentreffen komplett plausibel, aber das hat mich bei dieser temporeichen Lektüre erst gegen Ende gestört. Die Protagonisten verhalten sich öfters mal irrational, was angesichts der Ausnahmesituation, in der sie sich befinden, aber entschuldbar erscheint. Autorin Karen M. McManus hat viele Themen zwischen zwei Buchdeckel gepackt, so dass der Roman zwar von Anfang bis Ende spannend bleibt, allerdings auch etwas überladen wirkt. Zudem hat sie eine mögliche Fortsetzung angeteasert, die ich wohl nicht mehr lesen würde. Dennoch: eine nette Wochenendlektüre.

Verlag: cbj Jugendbuch
Seitenzahl: 416
Erscheinungsdatum: 13. Dezember 2021
ISBN: 978-3570166062
Preis: 20,00 € (E-Book: 14,99 €)

18. Januar 2022

Robert Dinsdale: Die kleinen Wunder von Mayfair

Magisch, verspielt und unerwartet düster.

„Die kleinen Wunder von Mayfair“ ist eine Geschichte von Liebe und Missgunst, Magie und Krieg. Letzteres hat mich unvorbereitet erwischt, denn zunächst bewegt sich der Roman in ganz anderen Sphären: Er beginnt im Jahr 1906, in dem die 15-jährige Cathy Wray ungewollt schwanger wird und nach London ausreißt, um dort eine Arbeit zu suchen und sich und ihr noch ungeborenes Baby versorgen zu können. Einen Job findet sie im Spielzeugladen „Papa Jacks Emporium“, einem zauberhaften Ort, der seine Tore stets vom ersten Frost bis zur ersten Schneeglöckchenblüte öffnet. Das Emporium fasziniert klein und groß mit aufziehbaren Stofftieren, filigran gearbeiteten Spielzeugsoldaten, schnell wachsenden Papierbäumen und anderem Spielzeug, dem ein Hauch Magie anhaftet. Cathy fühlt sich bald heimisch und lernt die Söhne ihres Arbeitgebers Papa Jack kennen, die nur wenige Jahre älter sind als sie. Und bald geht es für den kreativen Kaspar und seinen stillen Bruder Emil nicht mehr nur darum, wer die schönsten Spielzeuge entwirft, sondern beide entwickeln auch ein Interesse an Cathy …


Robert Dinsdales Roman scheint erstmal voller kleiner Wunder und „Papa Jacks Emporium“ wie der Spielzeugladen, von dem man als Kind immer geträumt hat. Doch es gibt einige Zeitsprünge im Buch, die Leserinnen und Leser schließlich in die dunklen Jahre des Ersten Weltkriegs katapultieren, die weder am Spielzeugladen noch an seinen Besitzern spurlos vorübergehen. Und so hat „Die kleinen Wunder von Mayfair“ auch traurige Kapitel, die ich beim Anblick des verspielten Covers nicht vermutet hätte. Der Roman liest sich märchenhaft, hat aber wie viele Märchen auch grausame Seiten. Das Ende kam für mich sehr überraschend und ich bin mir immer noch nicht sicher, wie es mir gefallen hat. Nach meinem Geschmack wurde Robert Dinsdale einer Figur viel weniger gerecht, als ich es anfangs erwartet hatte – aber natürlich ist es auch mal spannend, als Vielleserin eines Besseren belehrt zu werden. Insgesamt kann ich diese magische Geschichte durchaus empfehlen.

Verlag: Knaur
Seitenzahl: 464
Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2020
ISBN: 978-3426523094
Preis: 10,99 € (E-Book: 9,99 €)

6. Januar 2022

Ralf Schwob: Das Präsidium

Drogen, Geldprobleme und ein lost place.

Das zwischen 1911 und 1914 erbaute alte Polizeipräsidium in Frankfurt ist seit 20 Jahren ein lost place: leerstehend, abgeriegelt und langsam vor sich hin verfallend. Seit 2021 gibt es offizielle Führungen durch das Gebäude, die ich sehr empfehlen kann. Und nachdem man sich das alte Gemäuer mal angeschaut hat, macht es natürlich besonders großen Spaß, einen zum Teil dort angesiedelten Regional-Krimi zu lesen.


Der Frankfurt-Krimi „Das Präsidium“ von Ralf Schwob beginnt mit großem Pech für Drogenkurier Maik: Sein alter Freund Zoran verschwindet auf Nimmerwiedersehen mit der von ihnen zu transportierenden Lieferung. Maik ist klar: Wenn er das Zeug nicht wieder ranschafft, ist er so gut wie tot. Doch selbst als Zoran wieder auftaucht, bleiben die Drogen verschwunden. Dass der biedere Groß-Gerauer Familienvater Thomas Danzer etwas über ihren Verbleib weiß, scheint ausgeschlossen: Der ehemalige Banker, der Frau und Sohn noch nicht gestanden hat, dass ihm wegen Veruntreuung von Geldern gekündigt wurde, hätte eigentlich auch so schon genug Probleme. Aber vielleicht lassen gerade die sich durch einen unerwarteten Geldsegen lösen – oder wird am Ende alles nur noch schlimmer?

Ralf Schwob ist mit „Das Präsidium“ ein kurzweiliger Krimi mit glaubwürdig gestalteten Protagonisten gelungen: Sie sind fehlbar, verstockt, auch mal unsympathisch, aber durch ihre nachvollziehbaren Sorgen und Nöte sehr menschlich. Durch unerwartete Wendungen und die immer wieder wechselnde Erzählperspektive bekommt die Geschichte Tempo und liest sich wie in einem Rutsch durch. Ein Krimivergnügen – nicht nur für Frankfurter.

Verlag: Societäts-Verlag
Seitenzahl: 240
Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2021
ISBN: 978-3955424107
Preis: 15,00 € (E-Book: 10,99 €)

13. Dezember 2021

Rachel Hawkins: Die Verschwundene

Desperate Housewives meets Gone Girl.

Thornfield Estates hat mich ein bisschen an die Wisteria Lane aus „Desperate Housewives“ erinnert: prächtige Villen, gelangweilte Hausfrauen, Klatsch, Tratsch und Missgunst. Und mittendrin eine junge Frau, die schon rein optisch nicht reinpasst: Jane ist Anfang 20, hat weder Familie noch finanzielle Rücklagen und jobbt als Hundesitterin. Zu gerne wäre sie eine der Schönen und Reichen, deren Hunde sie ausführt. Doch plötzlich scheint sie diesem Ziel unverhofft näherzukommen: Eddie Rochester, ein frischgebackener Witwer, interessiert sich für sie – obwohl seine Frau erst seit wenigen Monaten verschwunden ist. Bea und ihre beste Freundin Blanche sind von einem Bootsausflug nicht zurückgekehrt; ein tragischer Unfall wird vermutet. Doch Eddie scheint entschlossen, nach vorne zu schauen, und Jane lässt sich nur zu gerne auf ihn und den ihn umgebenden Luxus ein. Doch der soziale Aufstieg hat seine Tücken; zusätzlich droht Janes Vergangenheit, sie einzuholen. Und sie ist nicht die einzige, die in Thornfield Estates etwas zu verbergen hat …


„Die Verschwundene“ hat mich immer wieder überrascht: Sobald ich annahm, die Geschichte einordnen zu können, kam verlässlich ein neuer Twist, der alle Gewissheiten ins Wanken brachte. Hier ist vieles nicht, wie es scheint, oder wie es geübte Thriller-Leser*innen vielleicht vermuten – und trotzdem bleiben die Entwicklungen stimmig. Der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben und liest sich dadurch temporeich und spannend. Perfekt, um aus dem Alltag abzutauchen.

Verlag: Heyne
Seitenzahl: 416
Erscheinungsdatum: 13. Dezember 2021
ISBN: ‎978-3453424159
Preis: 13,00 € (E-Book: 4,99 €)

Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.

5. Dezember 2021

Bülent Ceylan: Ankommen – Aber wo war ich eigentlich?

Sympathische Einblicke in Höhen und Tiefen.

Bülent Ceylan, der Monnemer Comedian mit den vermutlich schönsten Haaren der Szene, hat seine Biografie geschrieben. Hätte ich ihn nicht im Rahmen der ARD-Buchmessenacht daraus lesen hören, hätte ich ihr vermutlich keine größere Beachtung geschenkt, aber so war schon nach wenigen Sätzen klar: Er hat einiges zu erzählen und macht das auf eine sehr sympathische und authentische Art.


In „Ankommen – Aber wo war ich eigentlich?“ schildert Bülent Ceylan sein Leben – quasi vom Kennenlernen seiner Eltern bis heute. Wie es war, in den 1980ern als jüngster Spross einer sechsköpfigen deutsch-türkischen Patchworkfamilie in einer 68qm-Wohnung im Mannheimer Waldhof aufzuwachsen, von der Enttäuschung der väterlichen Verwandtschaft über seine mangelnden Türkischkenntnisse und dem Entschluss, sich in der Schule lieber „Billy“ zu nennen. Überhaupt, die Schule: Bülent war eher Streber als Klassenclown. Von Rückschlägen und Verletzungen erzählt er so ehrlich wie von der liebevollen und prägenden Beziehung zu seinen Eltern. Und dass seine ersten, vorsichtigen Karriereschritte keine Selbstläufer waren, Kaya Yanar die Rolle des „türkischen Comedian“ in den Augen von Veranstaltern komplett auszufüllen schien und er doch einige Zeit auf Kleinkunstbühnen in Mannheim und Umland verbrachte, bis der Durchbruch kam.

Insbesondere die Kapitel über Kindheit und Jugend fand ich toll erzählt, aber auch die Selbstfindung des jungen Erwachsenen ist authentisch und nachvollziehbar beschrieben. Und dann kam endlich der bundesweite Erfolg und mit ihm neue Themen: Bülents Tourfamilie, wie er seine Frau kennengelernt hat und auch kleine Einblicke in das Familienleben, das er aber verständlicherweise privat halten möchte.
Teilweise wird das Buch im letzten Drittel etwas sprunghaft und ist nicht mehr so stringent erzählt wie Bülents Aufwachsen. Spaß macht die Lektüre trotzdem und gibt auch noch ein paar Schlüsselloch-Einblicke in den Comedybetrieb. Der Eindruck, dass Bülent ein offener und liebenswerter Typ ist, bleibt – und wurde bei mir noch dadurch verstärkt, dass er nach seiner Lesung auf der Frankfurter Buchmesse seine Co-Autorin Astrid Herbold auf die Bühne holte, um ihr zu danken und sie „abzufeiern“. Ehre, wem Ehre gebührt – so scheint er seine Mitmenschen generell zu behandeln und trotz großem Erfolg die Bodenständigkeit nicht verloren zu haben. Und vermutlich wirkt Bülent Ceylan gerade dadurch so sympathisch; auf dem Papier wie bei seinen Auftritten.

Verlag: Fischer Taschenbuch
Seitenzahl: 256
Erscheinungsdatum: 8. September 2021
ISBN: 978-3596706600
Preis: 18,00 € (E-Book: 16,99 €)

23. September 2021

Mhairi McFarlane: Du hast mir gerade noch gefehlt

Letzte Nacht.

Die Romantic Comedies dieser Autorin sind fast die einzigen Bücher, die ich noch aus dem Genre „Chick-Lit“ lese. Sie handeln verlässlich von sympathischen Protagonistinnen, die mit Herz, Hirn und Selbstironie gegen verschiedenste Widrigkeiten des Lebens kämpfen. Bei der Lektüre von McFarlanes fünftem Buch beschlich mich das Gefühl, dass sich das Konzept vielleicht doch langsam abnutzt – doch die neueste Geschichte der schottischen Autorin hat mich wieder positiv überrascht.


„Du hast mir gerade noch gefehlt“ scheint auf den ersten Blick ein typischer Mhairi-McFarlane-Roman zu sein. Schon das verspielt illustrierte Cover mit dem eher nichtssagenden Titel und dem leicht chaotischen Schriftzug fügt sich bestens in die Reihe der bisherigen sechs Romane ein. Eve Harris, die Hauptfigur, könnte auf den ersten Blick auch in jedem der anderen Bücher vorkommen: eine sympathische Single-Frau mit kleinen Unsicherheiten, die ihren Job nicht mag, ihren Kater liebt und alles für ihre Freunde tun würde. Ihre Clique besteht seit Schulzeiten aus Susie, Justin und Ed; der feste Treffpunkt der Mittdreißiger ist das Pub-Quiz, bei dem sie noch nie gewonnen haben. Und so beginnt der Roman mit einem ganz normalen Kneipenabend, bei dem dann allerdings Eds Freundin Hester die Bühne kapert und ihm einen Antrag macht. Eve, die seit Jahren heimlich in Ed verliebt ist, zieht es den Boden unter den Füßen weg – denkt sie. Doch die wahre Katastrophe steht ihr erst noch bevor.

Ich hätte Mhairi McFarlane nicht zugetraut, dass sie einem Schicksalsschlag so viel Raum gibt, wie es in diesem Roman geschieht. Sie schildert einfühlsam und authentisch, wie eine Tragödie Eves Leben und das ihrer Freunde durcheinanderwirbelt. Wer einen Liebesroman erwartet hat, wird vielleicht irritiert sein, doch mir hat sehr gefallen, dass die Geschichte so viel mehr bietet und sich in keine Schublade stecken lässt. McFarlane beweist, dass sie neben den lustigen und romantischen Tönen auch die traurigen und verzweifelten trifft – selbst auf der Langstrecke. Sie bringt Humor und Tiefgang stimmig zusammen, und so ist „Du hast mir gerade noch gefehlt“ eine runde Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und Weiterleben, die viele gute Gedanken enthält – und der ihr 08/15-Titel absolut nicht gerecht wird. Im Original heißt der Roman schmucklos „Last night“, was ich weitaus passender finde. Doch so oder so ist es der perfekte Roman, um es sich mit einer Tasse Tee (very British) auf dem Sofa gemütlich zu machen und einfach mal ein paar Stunden durchzuschmökern.

Verlag: Knaur
Seitenzahl: 432
Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2021
ISBN: 978-3426522714
Preis: 11,99 € (E-Book bis 30.09.: 4,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

11. September 2021

Paula Hawkins: Wer das Feuer entfacht

Raffinierter Pageturner.

„Girl on the train“ war ein internationaler Bestseller und hat mir sehr gefallen. Von Paula Hawkins folgendem Buch „Into the water“ war ich allerdings etwas enttäuscht. Nach dem Wasser kam nun das Feuer und dem wollte ich auch noch eine Chance geben. Und das hat sich mehr als gelohnt – der neueste Roman der britischen Autorin ist wirklich gelungen!


Roman, Krimi, Thriller – „Wer das Feuer entfacht“ ist ein bisschen von allem, wobei der Pageturner ganz klassisch mit einer Leiche beginnt: Daniel Sutherland, Anfang bis Mitte 20, wurde auf seinem schmuddeligen Hausboot brutal ermordet. Seine Nachbarin Miriam findet ihn, seine Tante Carla ist untröstlich und Laura, die er kurz vor seinem Tod noch abgeschleppt hatte, macht sich verdächtig. Die Polizei nimmt ihre Ermittlungen auf. Wer Daniel Sutherland auf dem Gewissen hat, blieb mir lange ein Rätsel, aber dieses Rätsel macht nicht den größten Reiz des Romans aus, sondern die Schicksale der anderen Charaktere. Miriam, Carla, Laura, aber auch weitere Nebenfiguren werden einfühlsam portraitiert. In dem Roman-Kosmos gibt es sehr unterschiedliche Menschen, die alle eint, dass sie auf irgendeine Weise beschädigt sind. Teils sieht man es ihnen an, teils können sie es kaschieren, doch alle haben ihr Päckchen zu tragen, bewältigen das jedoch nicht gleich gut.

Hawkins gelingt es durch häufige Perspektivwechsel, ihre Figuren nahbar werden zu lassen, ohne ihre Geheimnisse zu enthüllen. Gleichzeitig bleibt der Roman temporeich. Und dann schafft sie noch fast spielerisch, was für mich sowohl einen gelungenen Krimi als auch Thriller ausmacht: Viele kleine Details fügen sich unauffällig in den Lesefluss ein, haben am Ende aber eine ungeahnte Bedeutung für das Gesamtbild. Hinzu kommt ein überraschendes und dennoch stimmiges Finale, das den Roman raffiniert abrundet. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich „Girl on the train“ gelesen habe, aber ich würde behaupten, dass „Wer das Feuer entfacht“ bestens mit Hawkins Erfolgsroman mithalten kann.

Verlag: Blanvalet
Seitenzahl: 416
Erscheinungsdatum: 6. September 2021
ISBN: 978-3764507824
Preis: 20,00 € (E-Book: 9,99 €)

Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.

27. Juni 2021

John Green: Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?

Kurioser Mix, wunderbar erzählt.

Dieser Titel hat mich gleich angesprochen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch sehr höflich: „Wie hat Ihnen das Anthropozän bisher gefallen?“ Tja, gute Frage. Laut Wikipedia (das wiederum einen Artikel aus der NZZ zitiert) ist das Anthropozän „[das Zeitalter,] in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist“. Es gibt verschiedene Ansätze, die den Beginn des Anthropozäns unterschiedlich datieren. Fest steht, dass es das einzige Zeitalter ist, das wir kennen. Aber was macht es eigentlich aus?


John Green nähert sich dieser Frage in kurzen Kapiteln, in denen er über Dinge, Momente und Erfahrungen schreibt, die für ihn mit dem Anthropozän verbunden sind – z.B. Klimaanlagen, Diet Dr Pepper und Jerzy Dudeks sportliche Leistung am 25. Mai 2005. Ich habe Dr Pepper noch nie getrunken und Jerzy Dudek sagte mir nichts. Aber das ist völlig egal, gerade letztere Geschichte habe ich gleich zweimal gelesen, weil sie mir so gut gefallen hat (und vermutlich auch, weil gerade EM ist und es thematisch so schön passt). Viele der Kapitel beziehen sich auf die USA, da Green ein amerikanischer Autor ist – mehrere Überschriften sagten mir gar nichts. Doch das stört beim Lesen in keiner Weise, denn von diesem Autor lässt man sich einfach gerne lesend an die Hand nehmen und zu den verschiedensten Themen dieses bunten Mixes führen.

Allerdings erzählt John Green nicht nur – er bewertet auch, nach der bewährten 5-Sterne-Skala, die wir alle aus dem Internet kennen. Sogar sein eigenes Buch ist nicht vor ihm sicher; er lässt sich kritisch über Copyrightseite, Titelseite und die Buchwerbung am Schluss aus. Ansonsten bewertet er von Kanadagänsen (zwei Sterne) über unsere Fähigkeit zu staunen (dreieinhalb Sterne) bis hin zum Halleyschen Kometen (viereinhalb Sterne) jedes Thema, das er unter die Lupe nimmt – aber erst, nachdem er es sorgsam von mehreren Seiten beleuchtet hat. Green schreibt über seine persönliche Beziehung dazu, seine Gedanken, seine Erlebnisse und reichert das Ganze mit Fakten und (zum Teil wunderbar unnützem) Wissen an. Das liest sich mal faszinierend, mal skurril, mal anrührend, macht großen Spaß und bringt gleichzeitig zum Nachdenken. Die Art, in der John Green über Emotionen schreibt, hat mich dabei an Matt Haig erinnert und mir sehr gefallen.

Apropos: Wie hat mir das Anthropozän denn nun bis jetzt gefallen? Die Antwort auf diese Frage in eine 5-Sterne-Skala zu pressen, erscheint mir unmöglich. Aber John Greens Buch, dem gebe ich viereinhalb Sterne.

Verlag: Hanser
Seitenzahl: 320
Erscheinungsdatum: 18. Mai 2021
ISBN:‎ 978-3446270558
Preis: 22,00 € (E-Book: 16,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.