24. Oktober 2020

Tom Liehr: Die Wahrheit über Metting

Ein bisschen Metting ist überall.

Dieser Roman schildert im ersten Teil das Heranwachsen der Hauptfigur Tomás Lebesanft in einer Kleinstadt namens Metting. Teil zwei spielt über dreißig Jahre später und handelt von der Rückkehr des Protagonisten in den Ort seiner Kindheit. Und so ist „Die Wahrheit über Metting“ sowohl „Coming-of-Age“- als auch „Coming-back“-Geschichte. Beide Teile sind sehr verschieden, beide aber auch sehr gelungen.


Wobei ich bei der Lektüre von Tom Liehrs „Die Wahrheit über Metting“ anfangs schon etwas gelitten habe – mitgelitten, mit Tomás, diesem einsamen, sich selbst überlassenen Kind, das in den 1970er Jahren in einem von seinen Eltern geleiteten Pflegeheim aufwächst. Hier gehört der Tod nicht nur zum Leben, sondern tatsächlich zum Alltag. Die Schule könnte ein wohltuendes Gegengewicht bilden, ist aber leider ein Ort der Demütigungen, denen sowohl der Legastheniker Tomás als auch dessen bester, als „Zigeunerkind“ beschimpfter Freund Filip ausgesetzt sind. Letzterer ist in der Schule quasi vogelfrei, die Lehrer sind gottgleiche Autoritäten und die Zeit der Helikopter-Eltern ist noch weit entfernt. Ein Lichtblick für Tomás ist die Freundschaft zu Marieluise Benedickt, einer Pflegeheimbewohnerin, die seine Großmutter sein könnte, für die er aber ganz andere Gefühle hegt. Doch nach und nach zerbricht Tomás‘ Welt und ein unaufhaltsamer Abwärtsstrudel scheint alle seine Hoffnungen und Wünsche mitzureißen.

Doch in „Die Wahrheit über Metting“ geht es längst nicht nur um die Hauptfigur. Es geht um das Leben an sich, den Prozess des Älterwerdens und Sterbens, unerfüllte Träume und verpasste Gelegenheiten. Diese Themen packt Liehr in deutliche, aber immer wieder auch sehr feinfühlige Worte.
Das zweite Thema dieses Buches ist die Vorhölle, die eine Kleinstadt sein kann. Mettings Spießbürger und ihre Spießigkeit, ihr Rassismus, ihre Homophobie und ihr Getratsche werden von Liehr so schonungslos dargestellt, dass es weh tut. Und gleichzeitig wird klar, dass Metting überall sein könnte, denn vermutlich können die meisten der 70er und 80er Jahrgänge einen Teil ihrer Kindheit in Metting wiederentdecken.

Ich hatte erwartet, dass die Geschichte leicht skurrile Züge entwickeln könnte, aber stattdessen bekam sie eine unerwartete Tiefe. Liehr trifft den richtigen Ton – immer wieder. „Die Wahrheit über Metting“ berührt und klingt auf eine gute Art nach. Ein Roman, dem man von außen so gar nicht ansieht, was alles in ihm steckt.

Verlag: Rowohlt Taschenbuch
Seitenzahl: 368
Erscheinungsdatum: 13. Oktober 2020
ISBN: 978-3499001840
Preis: 12,00 € (E-Book: 9,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

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