25. November 2018

JP Delaney: Believe Me. Spiel Dein Spiel. Ich spiel es besser.

JP Delaneys 2017 erschienener Thriller „The Girl Before“ ist ein spannend klingender Bestseller, von dem ich bereits gehört hatte. Daher habe ich mich sehr über die Gelegenheit gefreut, ein Rezensionsexemplar von „Believe Me“ zu lesen, dem neuesten Buch des Autors, das gleichzeitig ein früheres Werk von ihm ist, mit dem Delaney jedoch nicht zufrieden war. In seiner Danksagung am Ende des Buches schreibt er, dass er durch den Erfolg von „The Girl Before“ „die Chance einer Neuauflage“ von „Believe Me“ bekam, die Urversion jedoch stark verändert hat, weil er mit ihr schon nach Erscheinen nicht mehr zufrieden war: „Ich hatte das Gefühl eine interessante Idee verschwendet zu haben, weil das Buch nicht gut genug gelungen war.“ Tja.


„Believe Me“ beginnt durchaus interessant. Die Engländerin Claire Wright besucht eine Schauspielschule in New York. Sie ist so begabt, dass sie ein Stipendium bekommen hat, das ihre Lebenshaltungskosten jedoch nicht abdeckt. Eine Arbeitserlaubnis erhält sie als Ausländerin allerdings nicht und arbeitet schließlich gegen Cash als Treuetesterin, die verheirateten Männern im Auftrag von deren Ehefrauen Avancen macht. Dabei ist sie sehr erfolgreich – außer bei Universitätsprofessor Patrick Fogler, der sie abblitzen lässt. Am nächsten Morgen wird seine Ehefrau ermordet aufgefunden. Sowohl er als auch Claire stehen zunächst unter Verdacht. Und als die Polizei der jungen Schauspielschülerin ein Angebot macht, kann sie quasi nicht ablehnen, gerät aber zunehmend in einen Interessenskonflikt, weil sie Patrick Fogler immer attraktiver findet …

Das Verhalten der Figuren erschien mir relativ bald nicht mehr besonders schlüssig. Irgendwann kam es dann jedoch zu einem Twist, der mich extrem überrascht hat. Überraschende Wendungen sind ein Markenzeichen von guten Thrillern, aber so richtig glaubwürdig erschienen mir die Geschehnisse auch danach nicht. Die Figuren wirkten zum Teil komplett verquer oder blieben plötzlich merkwürdig blass. Ereignisse, die jeden normalen Menschen extrem irritiert hätten, wurden von ihnen schnell vergessen oder abgetan. Überdies fehlte mir ein anderes Markenzeichen von guten Thrillern: Spannung. Nicht, dass es mich nicht mehr interessiert hätte, wer die Ehefrau von Patrick Fogler ermordet hat, aber den Figuren schien es zum Teil egal und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sie noch an einer Beantwortung dieser Frage interessiert waren.
Ein drittes Markenzeichen von guten Thrillern: die Auflösung. Ich finde, damit steht und fällt ein Buch dieses Genres und erwartete nach dem langen, müden Dahinplätschern der Handlung eine Überraschung – die auch kam und auf der ich nach wie vor herumdenke, da sie einige Geschehnisse in einem anderen Licht beleuchtet. Ich fand die Auflösung nicht schlecht und das Verhalten mancher Protagonisten erscheint mir im Nachhinein schlüssiger. Doch es ändert nichts daran, dass sich das Leseerlebnis eher belanglos gestaltete. „Believe Me“ enthielt einige faszinierende Elemente – Baudelaires Skandal-Gedichtband „Le Fleurs Du Mal“ spielt eine große Rolle, auch die Einblicke in Claires Schauspielunterricht und -verständnis fand ich gelungen. Aus dem ganzen Stoff hätte man mehr rausholen können, glaube ich – wie es wohl auch der Autor dachte, als er seine Geschichte nochmal überarbeitete. Aber in meinen Augen ist es ihm immer noch nicht gelungen. „Believe me“ ist trotz vielversprechender Ansätze nicht komplett stimmig und erst recht nicht spannend, das Gesamtkonzept krankt. Schade, ich hatte mir mehr versprochen.

Verlag: Penguin
Seitenzahl: 416
Erscheinungsdatum: 10. September 2018
ISBN: 978-3328103264
Preis: 15,00 € (E-Book: 9,99 €)

11. November 2018

Daniel Kehlmann: Tyll

Dieses Buch habe ich schon vor fast zwei Wochen ausgelesen, mich bislang jedoch vor der Rezension gedrückt. Der Grund: Ich habe große Zweifel, ob meine Besprechung diesem großartigen, vielschichtigen Roman gerecht werden kann. Ich habe ihn als einzigartig empfunden und somit hat er auch eine ganz besondere Rezension verdient.


Als ich anfing, Daniel Kehlmanns „Tyll“ zu lesen, war ich noch nicht so begeistert. Ich hatte das Buch quasi unaufgefordert ausgeliehen bekommen, bin generell kein besonderer Fan historischer Romane und dass mir gesagt wurde, dieser hier hätte quasi keine Handlung, machte ihn nicht unbedingt attraktiver.

Wobei es gar nicht stimmte: „Tyll“ hat durchaus Handlung. Sie steht allerdings nicht unbedingt im Vordergrund. Der Roman liest sich mehr wie ein Zeitzeugnis, was das 2017 veröffentlichte Buch natürlich in keiner Weise ist. Aber Kehlmann verleiht seinen Figuren einen Ton und eine Sprache sowie dem ganzen Roman eine solch ungewöhnliche Atmosphäre, dass man als Leser mehr in den Dreißigjährigen Krieg eintaucht, als ich es für überhaupt möglich gehalten hätte. Dabei war mir dieser Stoff anfangs sehr fremd, mein Wissen über die damalige Zeit höchst begrenzt. Die acht langen Kapitel, aus denen sich der Roman zusammensetzt, bauen außerdem nicht chronologisch aufeinander auf, was die Lektüre anfangs etwas sperrig macht. Dennoch ist „Tyll“ zu jeder Zeit sehr gut lesbar. Doch das große Ganze zu verstehen, fällt erst einmal schwer, da auch unterschiedliche Figuren im Mittelpunkt der jeweiligen Kapitel stehen, während andere, bisherige Hauptfiguren höchstens noch einmal als Randfigur vorkommen. Auch der titelgebende „Tyll“, eine Till Eulenspiegel nachempfundene Figur, ist kaum eine Hilfe, obwohl er in jedem der Kapitel zumindest auftaucht. Dennoch bleibt er eine nebulöse Figur, mit der sich kaum warm werden lässt. Dies gilt jedoch für alle Protagonisten: Das Identifikationspotential ist außerordentlich gering. Dennoch zieht der Roman einen nach und nach in seinen Bann, was auch daran liegt, dass Kehlmann all die von ihm geschaffenen losen Ende früher oder später auf kunstvollste Art und Weise zusammenführt. Irgendwann lichtet sich der Nebel, Figuren tauchen zum wiederholten Mal auf, Verbindungen werden klar und irgendwann sogar die historischen Zusammenhänge. Wie sich alles zusammenfügte, fand ich höchst faszinierend. Was mich zudem begeisterte: Wie eine längst vergangene, höchst elende Zeit plötzlich so greifbar, so nachvollziehbar und fühlbar wurde. Kehlmann lässt verschiedenste fiktive und historische Figuren zu Wort kommen, die Perspektive der hart schuftenden Müllersfrau kommt genauso vor wie die des vermeintlich Gelehrten, die der Königin und die des Narren.

Und so ist „Tyll“ ein außergewöhnlicher Roman, der mich anfangs leicht abgeschreckt und zu seinem Ende hin richtiggehend begeistert hat – und außerdem einer, den ich glatt nochmal lesen könnte, um auch wirklich alle Zusammenhänge zu begreifen. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal ein derartiges Buch gelesen zu haben. „Tyll“ ist große Literatur und nur zu empfehlen.

Verlag: Rowohlt
Seitenzahl: 480
Erscheinungsdatum: 9. Oktober 2017
ISBN: 978-3498035679
Preis: 22,95 € (E-Book: 19,99 €)

5. November 2018

Chloe Benjamin: Die Unsterblichen

„Worte haben immer nur die Bedeutung, die man ihnen verleiht.“ Diesen Satz las ich gerade in einem eher mittelmäßigen Thriller, doch er passte noch besser zu dem Roman, den ich kurz zuvor beendet hatte. Er handelte von Worten in Form einer Prophezeiung, die das Leben von vier Geschwistern nachhaltig beeinflusst hat. Aber hätte die Prophezeiung auch diese Wirkung gehabt, wenn ihr die Kinder, die sie hörten, weniger Bedeutung zugemessen hätten?


Chloe Benjamins „Die Unsterblichen“ beginnt 1969 in der Lower East Side in New York. Die vier Kinder der Familie Gold langweilen sich in ihren Ferien und als sie von einer Wahrsagerin hören, die ihren Besuchern deren Todesdaten vorhersagt, verspricht das endlich etwas Abwechslung in die Ödnis dieses Sommers zu bringen. Sie spüren die Frau gemeinsam auf – nichtahnend, dass der Besuch jedes ihrer Leben nachhaltig beeinflussen wird: Das der vorsichtigen und vernünftigen dreizehnjährigen Varya, des selbstsicheren elfjährigen Daniel, der lebenshungrigen neunjährigen Klara und des Nesthäkchens, dem siebenjährigen Simon. Denn was bedeutet es, wenn man seinen eigenen Todestag zu kennen glaubt? Lebt man bewusster? Versucht man, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen? Konzentriert man sich aufs Leben oder aufs Überleben? Wird das Ganze zur self-fulfilling prophecy oder schafft man es dauerhaft, eine solche Prophezeiung als Humbug abzutun?

Benjamin erzählt die Lebensgeschichten der Geschwister hintereinander weg. Alle vier schlagen sehr unterschiedliche Wege ein, doch die Autorin schafft es, jedes Leben gleichermaßen nachvollziehbar zu schildern. Und so lässt sie ihre Leser in die Schwulenszene San Franciscos Ende der 1970er Jahre eintauchen, eine der Figuren von ihren ersten Bühnenerfahrungen bis nach Las Vegas begleiten, eine berufliche Sinnkrise miterleben und sich schließlich mit Primatenforschung beschäftigen. Dass diese Entwicklungen alle schlüssig scheinen und jeder dieser höchst unterschiedlichen Charaktere auf seine Weise überzeugt, fand ich beachtlich. Trotz der – nicht nur örtlichen – Entfernungen zwischen den Protagonisten, ist „Die Unsterblichen“ eine Liebeserklärung an Verbundenheit durch familiäre Bande, die bleibt, auch wenn letztere zeitweise recht locker sitzen mögen. Als sich die Autorin jedoch im letzten Teil des Buches der auf den ersten Blick unscheinbarsten Figur widmet, bekam es für mich nochmal eine andere Tiefe. Der vermeintlich übersinnliche Aspekt des Ganzen, die Prophezeiung der Wahrsagerin, verliert dabei zunehmend an Bedeutung. Vielmehr geht es um den Umgang mit Angst, mit Vergänglichkeit und die verschiedenen Konsequenzen, die sich daraus ziehen lassen. Und so besitzt „Die Unsterblichen“ auch noch eine tiefergehende Ebene und ist nicht nur eine mystisch angehauchte, intensiv erzählte Familiengeschichte, wobei es auch als solche eine berührende und lesenswerte Lektüre gewesen wäre.

Verlag: btb Verlag
Seitenzahl: 480
Erscheinungsdatum: 29. Oktober 2018
ISBN: 978-3442758197
Preis: 20,00 € (E-Book: 15,99 €)