Wenn die Humanität auf der Strecke bleibt. 
Dieser beeindruckende Roman zeigt Kanada als Einwanderungsland. Sharon Bala beschreibt es aus der Perspektive eines tamilischen Flüchtlings, einer Jurastudentin und einer Asyl-Entscheiderin. Der Flüchtling, Mahindran, richtet all seine Hoffnung auf ein neues Leben mit seinem sechsjährigen Sohn Sellian, nachdem ihre komplette Familie im sri-lankischen Bürgerkrieg umgekommen ist. Als sie dann aber 2009 mit 500 anderen Tamilen auf einem verrosteten Frachter in British Columbia ankommen, werden sie getrennt: Während Frauen und Kinder zusammenbleiben, werden die männlichen Flüchtlinge separat in einem leeren Gefängnis untergebracht und warten da auf ihre Anhörungen – monatelang. Sellian kommt zu einer kanadischen Pflegefamilie, die kein Wort Tamil spricht. Seinen Vater sieht er nur noch samstags im Gefängnis.
Die Jurastudentin Priya befasst sich im Rahmen eines Praktikums 
wider Willen mit dem Fall – eigentlich möchte sie sich auf 
Körperschaftsrecht spezialisieren, doch ein Senior Counsel der Kanzlei 
vereinnahmt sie, um die Flüchtlinge auf ihre Anhörungen vorzubereiten. 
Nicht ganz zufällig, denn Priya hat tamilische Wurzeln. Und dann ist da 
noch Grace Nakamura, die als Mitglied einer Prüfungskommission darüber 
entscheidet, ob die Tamilen in Kanada einen Asylantrag stellen dürfen. 
Sie soll die Schwarzweiß-Maßstäbe einer reichen Industrienation auf die 
500 Männer, Frauen und Kinder anwenden, die in Sri Lanka um das nackte 
Überleben kämpfen mussten und stößt dabei an ihre Grenzen. Und auch 
privat lässt sie das Thema Einwanderung nicht los: Bei ihrer 
demenzkranken Mutter kommen Kindheitserinnerungen hoch; Graces 
Großeltern sind selbst als japanische Flüchtlinge ins Land gekommen.
Balas
 Geschichte ist universell: Die „Boat People“ könnten aus jedem 
Krisengebiet stammen und statt Kanada auch ein anderes westliches Land 
angesteuert haben. Der Roman handelt von Flucht und Vertreibung, 
Terrorangst und Bürokratie. Bala wertet nur selten; sie zeigt 
Verständnis für alle Seiten und verdeutlicht dabei still und leise, wie 
die Humanität auf der Strecke bleibt. Und dass niemand als „Boat People“
 geboren wird; dass es keine leichtfertige Entscheidung ist, die Heimat 
zu verlassen und auf ein marodes Schiff zu steigen. Manchmal liest sich 
der Roman herzzerreißend, wenn z.B. in Rückblicken erzählt wird, was der
 Abzug der Vereinten Nationen aus dem tamilischen Rebellengebiet für die
 Zivilbevölkerung bedeutete. Es gibt aber auch kleine Lichtblicke: Die 
Mitmenschlichkeit, die man im System vergebens sucht, existiert im 
Kleinen, Privaten durchaus.
Die „Boat People“ rühren an etwas, vor 
dem man nur zu gern die Augen verschließt: dem Leid der anderen, die 
weit weg leben. Sharon Bala bringt den Lesenden das Thema Migration 
ganz, ganz nah.
Verlag: Mitteldeutscher Verlag
Seitenzahl: 480
Erscheinungsdatum: 7. August 2020
ISBN: 978-3963112690
Preis: 21,99 € (E-Book: 28,00 €)
Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.