Diese autobiographischen Geschichten haben meinen Südafrika-Urlaub sehr bereichert und mir Einblicke in
das Land gegeben, die mir sonst weder in Kapstadt, Johannesburg noch auf
der Garden Route vermittelt wurden. Sie wurden nicht im eigentlichen "Romanregal" fotografiert, weil ich sie gar nicht mehr nach Hause mitgenommen, sondern gleich nach der Lektüre weiter verliehen habe. Manchmal muss man Prioritäten setzen!
Der deutsche Titel dieses grandiosen Buches ist „Farbenblind“. Warum,
hat sich mir nicht erschlossen, denn die Gesellschaft, in die der
Südafrikaner Trevor Noah 1984 hineingeboren wird, ist nicht
„farbenblind“, sondern zutiefst farbenfixiert, was er von klein auf zu
spüren bekommt. Trevor Noahs Hautfarbe belegt ab dem Tag seiner
Geburt, dass gegen „Immorality Act No. 5“ der Apartheidsgesetze
verstoßen wurde: Er ist farbig – obwohl er eine schwarze Mutter hat. Was
nur bedeuten kann, dass sein Vater weiß ist, und dass er und Trevors
Mutter den genannten Paragraphen missachtet haben, der Menschen mit
unterschiedlichen Hautfarben sexuelle Beziehungen untersagt und Verstöße mit bis zu fünf Jahren Gefängnis ahndet. Vor diesem
Hintergrund erklärt sich der Titel der englischen Ausgabe auf einen
Blick: „Born a crime“. Was für ein Start ins Leben – ein Leben, in dem
der weiße Vater in der Öffentlichkeit panisch die Flucht vor seinem
„Daddy“ rufenden Kleinkind ergreift, die Mutter zum Spaziergang im Park
gerne eine farbige Freundin mitnimmt und die schwarze Großmutter den
Enkel in ihrer Hütte versteckt hält, wenn er sie in Soweto besucht.
Trevor Noah ist mit einer besonderen Sensibilität in Bezug auf
Hautfarben aufgewachsen – gezwungenermaßen. Er konnte sich die hier
gemeinte „Farbenblindheit“ nicht leisten.
In seinen
autobiographischen Rückblicken lässt er den Leser an seiner Kindheit und
Jugend in Johannesburg teilhaben. Mit fantastischer Leichtigkeit
schildert Noah, was es für ihn als farbiges Kind bedeutet hat, im
Apartheids- und Postapartheids-gebeutelten Südafrika aufzuwachsen.
Bereits auf den ersten Seiten schafft er es mühelos, auch seine
ausländischen Leser in diese zutiefst rassistische Welt mitzunehmen und
ihren Horizont zu erweitern.
Ich habe Trevor Noahs „Born a crime“
als Geschenk empfunden. Der Autor ist nur zwei Jahre jünger als ich. Er
ist unter Bedingungen aufgewachsen, die mir kaum fremder sein könnten
und schafft es trotzdem, seine damaligen Lebensumstände gleichsam
unterhaltsam und nachvollziehbar zu schildern. Er nimmt seine Leser an
die Hand und erklärt, worauf ein nicht-südafrikanischer Leser vermutlich
nicht kommt: Wieso bleiben Menschen freiwillig in Townships wohnen?
Wieso kam es vor, dass schwarze Mütter ihre Söhne „Hitler“ nannten?
Wieso hatten Gebetskreise in Soweto die Hoffnung, dass Gott ein farbiges
Kindes eher erhören würde als schwarze Frauen?
Trevor
Noah musste von klein auf lernen, was es heißt, anders zu sein, wuchs er
doch in einem Land auf, dass Menschen ausschließlich über ihre
Hautfarbe und Stammesangehörigkeit definierte. Er lernte nach und nach,
sich wie ein Chamäleon an seine Umgebung anzupassen – sein Schlüssel war
dabei die Sprache, er beherrschte neben Englisch noch isiXhosa, isiZulu
und andere und verblüffte damit, dass er sich so nicht in die Schublade sortieren ließ, in die der typische Farbige gesteckt wurde. Meine naive
Vorstellung war ja, dass sich das Thema Hautfarbe mit dem Ende der
Apartheid in Südafrika zu größeren Teilen erledigt hätte, doch diese
wurde schnell ausgeräumt.
Eine Freundin, die das Buch
auf Deutsch angelesen hat, äußerte sich mir gegenüber enttäuscht über
die Einfachheit der Sprache. Bei meiner Lektüre auf Englisch ist mir
nicht aufgefallen, dass Noahs Stil in irgendeiner Art und Weise schlicht
wäre. Ich kenne die Übersetzung jedoch nicht und bin im Englischen
sicher nicht so sprachsensibel wie im Deutschen. Es ist klar,
dass Trevor Noah kein Literat ist – das ist nicht sein Metier. Der
Südafrikaner ist ein höchst erfolgreicher Comedian, der seit 2015 als
Nachfolger von Jon Stewart die Late-Night-Show „The Daily Show“ in den
USA moderiert. Er ist Unterhalter und hat ein höchst unterhaltsames und
trotzdem sehr reflektiertes Buch geschrieben – angesichts des Inhalts
ist das in meinen Augen eine große Leistung.
„Born a
crime“ vermittelt dem Leser eine leise
Ahnung davon, was Apartheid für die Betroffenen wirklich bedeutet hat - und was in Südafrika bis heute im Argen liegt. Es verdeutlicht, warum "Farbenblindheit" bis heute ein frommer Traum ist und ist trotzdem nicht verbittert, sondern feiert das Leben. Ich kann es nur empfehlen.
Verlag: Spiegel & Grau
Seitenzahl: 304
Erscheinungsdatum: 19. September 2017 (Hardcover: 15. November 2016)
ISBN: 978-0525509028
Preis: aktuell 7,99 € (E-Book: 4,49 €)
Ist am 6. März 2017 auf Deutsch beim Karl Blessing Verlag unter dem Titel "Farbenblind" erschienen. Preis: 19,99 € (E-Book: 15,99 €).
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