5. Januar 2020

Liane Moriarty: Neun Fremde

Perfekte Unterhaltung

Mein Lesejahr 2020 habe ich mit einem Roman begonnen, der noch viel besser ist, als ich gehofft hatte. Das Setting hatte mich zwar gleich angesprochen, erschien mir aber trotzdem nicht besonders innovativ: „Neun Fremde“ kommen an einem Ort zusammen, an dem sie nichts Böses erwarten – aber dann nimmt ihr Aufenthalt eine unvorhersehbare Wendung und plötzlich sehen sie sich einer Situation ausgeliefert, mit der sie nicht gerechnet haben … das kennt man z.B. aus Agatha Christies „Und dann gabs keines mehr“; auch Shari Lapenas „Der zehnte Gast“ und Arno Strobels „Offline“, das noch auf meiner Leseliste steht, basieren auf dieser Idee. Vermutlich deswegen ging ich trotz des Ferienstimmung verbreitenden Covers davon aus, dass sich dieser Roman zu einem Krimi oder Thriller entwickeln würde – und lag damit falsch, wobei durchaus Spannung aufkommt und ich den Roman kaum noch aus der Hand legen wollte.


Liane Moriartys „Neun Fremde“ sind sich gar nicht alle fremd. Unter ihnen sind Vater, Mutter, Tochter sowie ein junges Pärchen. Sie und die vier anderen finden sich in einem teuren Wellness-Resort namens Tranquillum House wieder, wo sie durch ein sogenanntes „Cleansing“ Entspannung, Gewichtsabnahme, inneren Frieden oder die Rettung ihrer Ehe erreichen wollen. Der Leiterin des Resorts, Masha, sind die genannten Ziele allerdings allesamt zu klein und weltlich: Sie plant die totale Transformation ihrer Gäste zu gesünderen, weiseren und edleren Menschen – ein ehrgeiziges Vorhaben für einen zehntägigen Aufenthalt. Zusätzlich erschwert wird ihre Zielerreichung dadurch, dass die Gäste gar keine Transformation anstreben, aber von persönlichen Befindlichkeiten lässt sich eine Frau wie Masha nicht ausbremsen.

Die Autorin lässt alle wichtigen Figuren zu Wort kommen: Die „neun Fremden“, die der Leser schnell ziemlich gut kennenlernt, Masha und ihre beiden Wellness-Berater Yao und Delilah sind alle einzelne Erzähler von Kapiteln, die mit ihren jeweiligen Namen überschrieben sind. 12 Protagonisten also! Das könnte konfus werden. Oder öde oder zu kleinteilig. Wird es aber nicht, denn Moriarty ist eine begnadete Figurenentwicklerin. Sie haucht ihren Protagonisten so viel Leben und Persönlichkeit ein, dass mich wirklich alle gleichermaßen interessiert haben. Und nach und nach kommt man auch hinter die Geheimnisse, die viele dieser 12 Unikate haben. Aber auch nicht alle, und so wirken die Enthüllungen kein bisschen gekünstelt.
Meine Lieblingsfigur war Frances, eine über 50-Jährige Liebesroman-Autorin, bei der es karrieretechnisch nicht mehr läuft und die kürzlich außerdem auf einen Heiratsschwindler reingefallen ist. Doch auch der Scheidungsanwalt Lars, die schönheitsoperierte Jessica und die verbissen wirkende Hebamme Heather machen den Roman zu dem, was er ist: ein außerordentliches Lesevergnügen mit 12 amüsant geschilderten Charakterstudien, immer wieder hervorblitzendem Humor, etwas Nervenkitzel und einer Fülle von überraschenden Wendungen. „Neun Fremde“ ist richtig gute Unterhaltung ohne irgendwelche Abstriche.

Verlag: Diana
Seitenzahl: 528
Erscheinungsdatum: 26. August 2019
ISBN: 978-3453292345
Preis: 20,00 € (E-Book: 15,99 €)

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