30. Juni 2025

Liane Moriarty: Vorsehung

Starker Anfang, starkes Ende und ein dahinplätschernder Mittelteil

Eine ältere Dame steht während eines Fluges auf, um ihren Mitreisenden Todesalter und Todesursache zu prophezeien – knapp, präzise und immer schön der Reihe nach. Klingt nach einem erstaunlichen Bucheinstieg? Ist es auch. Autorin Liane Moriarty hebt in knackig-kurzen Kapiteln sechs Menschen und ihre Reaktion auf die Prophezeiung der „Death Lady“ hervor – vom gestressten Familienvater bis hin zum Brautpaar, das noch im Hochzeits-Outfit in die Flitterwochen startet. Die ersten hundert Seiten vergehen dann auch wie im Flug. Doch als dieser vorbei ist und sich die Passagiere in alle Richtungen zerstreuen, lässt auch die Dichte und Spannung der Geschichte merklich nach.

Moriarty springt das ganze Buch hindurch zwischen sieben Protagonist*innen hin und her. Sechs von ihnen haben während des Fluges eine Prophezeiung erhalten, die siebte ist die vermeintliche Hellseherin Cherry. Sie kommt in jedem zweiten Kapitel zu Wort und erzählt rückblickend ihr Leben, was zunächst etwas zusammenhanglos wirkt. Lange fühlte ich mich ihren Mitreisenden viel näher, doch kommen diese nach dem Flug nur noch selten ausführlich zu Wort. Gleichzeitig schwebt ein Damoklesschwert über ihnen: Werden Cherrys Prophezeiungen eintreten? Oder lässt sich das vielleicht sogar aktiv verhindern? Es dauert lange, bis der Roman in die Nähe einer Antwort kommt. Bis dahin plätschert er meist langsam vor sich hin und zerfasert dabei auch sehr, da es zwischen den einzelnen Figuren kaum Schnittstellen gibt. Mein Lesefluss wurde dadurch etwas gebremst; zudem nervte es mich etwas, dass ich ständig in Sorge um die Figuren war. Am Ende allerdings zeigt die Autorin wieder, was sie eigentlich kann, führt lose Enden zusammen, schließt Kreise, enthüllt verblüffende Verbindungen und hält auch einiges elegant in der Schwebe. Zwischenzeitlich habe ich es für unmöglich gehalten, dass „Vorsehung“ ein mich zufriedenstellendes Finale haben könnte, aber voilà: Es hat mich sogar begeistert. Und so ist der Roman eigentlich ein Fünf-Sterne-Buch mit einem dreieinhalb bis vier Sterne Mittelteil. Doch selbst, wenn letzterer Längen hat – Moriarty schafft es, alle sehr unterschiedlichen Charaktere authentisch, verletzlich und nahbar darzustellen. Niemand bleibt blass, alle sind richtig gut ausgearbeitet, auch wenn ich mir oft gewünscht hätte, mehr über Einzelne zu erfahren. Insgesamt bin ich froh, am Ball geblieben zu sein – und das Buch trotz Cover und Titel gelesen zu haben, beides hat mich nämlich eigentlich nicht angesprochen. Denkt man allerdings an den Schmetterlingseffekt, ist das Bild auf dem Buchumschlag gar nicht so beliebig wie gedacht. Wieder mal ein schöner Fall von „Don’t judge a book by its cover.“


Verlag: Droemer
Seitenzahl: 512
Erscheinungsdatum: 2. Mai 2025
ISBN: 978-3426562796
Preis: 23,- € (E-Book: 16,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.



16. Juni 2025

Kim Eui-kyung: Hello Baby

Unerfüllter Kinderwunsch

Das farbenfrohe Cover und der fröhliche Titel „Hello Baby“ täuschen: Dieser Roman handelt von Sehnsucht, Trauer und Verzweiflung. Sechs der Protagonistinnen besuchen dieselbe Kinderwunschklinik und sind dadurch zu einer Art Schicksalsgemeinschaft geworden. Es gibt eine Rahmenhandlung, die alle Frauen zusammenbringt, im Fokus stehen jedoch Lebensweg und Kinderwunsch(behandlung) jeder Einzelnen.

Autorin Kim Eui-kyung eröffnet im Nachwort, dass sie selbst Patientin in einer Kinderwunschklinik war. Sonst hätte sie dieses Buch, das nicht nur die damit einhergehende Gefühlsachterbahn, sondern auch das medizinische Vorgehen an sich detailliert schildert, sicher nicht so schreiben können. Noch trostloser als die Termine im Kinderwunschzentrum mutet allerdings das Privatleben der Frauen an, obwohl sich die meisten in liebevollen Beziehungen befinden. Doch sie stehen unter enormen Druck: Die Sehnsucht nach einem Baby und die kostspielige Behandlung sind das eine, doch in den meisten Fällen warten auch die Schwiegereltern dringlichst auf ein Enkelkind und haben keine Scheu, wöchentlich nachzufragen. Auf der Arbeit ist der Druck dagegen ganz anders geartet: Hier werden hundertprozentige Leistung erwartet. Sowohl Mutterschutz als Elternzeit scheint es zwar auch in Südkorea zu geben, doch der Roman schildert es als verpönt, von diesen Rechten Gebrauch zu machen und erwähnt Mobbing durch kinderlose Arbeitskolleg*innen. Schon die Zeit für die vielen Arzttermine, die eine Kinderwunschbehandlung mit sich bringt, ist kaum freizuschaufeln, und natürlich spricht man nicht offen über den Grund für die Untersuchungen. Mich hat das sehr deprimiert, da es offensichtlich bittere Realität ist.

Und dann ist da noch die siebte Protagonistin, Seolju Choi: Sie hat drei Kinder; offenbar eine Anzahl, über die hinter ihrem Rücken bereits getuschelt wird. Ausgerechnet ihre Mutter und Schwiegermutter sind nicht besonders erpicht auf ihre Enkel, ihren Beruf hat sie aufgegeben, da sie nicht beides für sich zufriedenstellend vereinbaren konnte. Ihr Mann bietet zwar finanzielle Absicherung, jedoch keine emotionale Unterstützung. Und so ist auch diese Frau unglücklich. Die nebenbei eingestreute Information, dass Südkorea eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit hat, erstaunt kaum noch.

„Hello Baby“ ist kein fröhliches Buch, aber ein wichtiges. Die Autorin berichtet, wie unsichtbar Kinderwunschbehandlungen für das Umfeld betroffener Paare oft bleiben – als wären sie ein Makel, den man besser für sich behält. Und so kann diese ohnehin schwierige Zeit auch noch ziemlich einsam werden. Hier haben die sechs Protagonistinnen mit Kinderwunsch ein Gegenmittel gefunden: Im „Hello Baby“-Chat geben sie sich Ratschläge, aber auch Halt. Und so sind dieser Chat und die Gemeinschaft der Frauen ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Während der Lektüre war ich sehr froh, in einem Land zu leben, in dem Frauen freier in ihrer Lebensgestaltung sind, die gesellschaftlichen Erwartungen nicht dermaßen hoch und das familiäre Leben nicht so traditionell geprägt. Doch eine Kinderwunschbehandlung ist auch hier kein Spaziergang. Darüber zu reden und das Ganze zu normalisieren, kann Betroffenen nur helfen. Kim Eui-kyung leistet einen Beitrag dazu, indem sie dem Thema mehr Sichtbarkeit gibt.


Verlag: Blumenbar
Seitenzahl: 223
Erscheinungsdatum: 14. Mai 2025
ISBN: 978-3351051280
Preis: 22,- € (E-Book: 16,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.