21. Mai 2020

Basma Abdel Aziz: Das Tor

Über das Ausgeliefertsein.

Ich hatte hohe Erwartungen an diesen Roman, der laut New York Times „in einem Atemzug mit großen Klassikern wie George Orwells 1984 und Franz Kafkas Der Prozess genannt werden [muss]“. Er wird außerdem als „erste große Dystopie einer arabischen Autorin“ beworben. Diese kommt aus Kairo – habe ich überhaupt schon einmal einen Roman einer ägyptischen Autorin gelesen? Ich war mehr als neugierig.


Basma Abdel Aziz‘ „Das Tor“ spielt allem Anschein nach in Ägypten; namentlich werden jedoch weder das Land noch die Stadt, die Handlungsort ist, genannt. Letztendlich konzentriert sich alles auf das titelgebende Tor, das die staatliche Autorität verkörpert, die die Freiheiten der Bürger immer weiter einschränkt, dabei jedoch stets auf Distanz bleibt. „Das Tor“ steht nicht explizit für einen Machthaber, eine Regierung, eine Exekutive – es steht für sich. Und viele stehen vor ihm: Menschen, die Bescheinigungen benötigen, Anträge stellen oder Sachverhalte klären wollen, bilden eine Schlange – „The Queue“, wie das Buch in der englischen Übersetzung heißt. Sie warten geduldig, dass das Tor sich öffnet und sie ihr Anliegen vortragen können. Doch das Tor öffnet sich nicht und die Schlange wächst.

In der Warteschlange entsteht ein Mikrokosmos. Die Menschen freunden sich an und streiten sich; sie beginnen, sich gegenseitig mit Informationen zu versorgen und untereinander zu handeln. Einige predigen, denn auch die Religion spielt in diesem totalitären Staat eine große Rolle.
Die Anliegen, die die Menschen zum Tor geführt haben, sind ganz unterschiedlicher Art. Eine Lehrerin hat den Aufsatz einer Schülerin zu sehr gelobt – offensichtlich ein Fehler, doch über den Inhalt des Aufsatzes erfährt man nichts. Nun benötigt sie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, um ihren Beruf weiter ausüben zu können. Ein Mann fordert Gerechtigkeit, besser noch eine Ehrung und finanzielle Anerkennung für seinen im Staatsdienst verstorbenen Cousin. Und dann ist da noch Yahya, der während Ausschreitungen eine Schussverletzung abbekommen hat. Die Operation in einem der städtischen Krankenhäuser darf nur durchgeführt werden, wenn eine Bestätigung des Tors vorliegt. Und so wartet Yahya, während die Kugel in seinem Körper mehr und mehr Schaden anrichtet.

Was Abdel Aziz hervorragend schafft: ihren Lesern den Wahnsinn des totalitären Staats vor Augen zu führen, der seine Bürger mehr und mehr kontrolliert und nach und nach alle Bereiche ihres Lebens einschränkt. Die Autorin packt die dreistesten Erlasse in Nebensätze und schafft es so, dass man sich auch als Leser ohnmächtig fühlt. Alles was zählt, ist das Tor – das macht die Lektüre sperrig und auch etwas zäh, doch gleichzeitig ist es ein gelungener Kunstgriff, auch die Leser auf die Öffnung des Tors warten zu lassen. Das Warten bestimmt die Lektüre und das ganze Sein der Protagonisten – doch diese bleiben leider blass. Ihrem Werdegang, ihren Familien, ihren Hoffnungen und Wünschen wird kaum Raum gegeben, dabei hätte das den Roman deutlich abwechslungsreicher gestalten können. Aber vielleicht wollte die Autorin gerade das vermeiden, denn so teilt man nur das Gefühl des lethargischen Wartens mit den Figuren und bleibt wie sie auf das Tor konzentriert.

Insgesamt hat „Das Tor“ mich wenig berührt, aber dennoch erschreckt. Abdel Aziz illustriert anschaulich, was es bedeutet, einem totalitären Staat ausgeliefert zu sein. Die Lektüre ihres Buches fesselt nicht unbedingt und rüttelt nicht auf; dazu sind die Geschehnisse und Protagonisten nicht lebendig genug beschrieben. Doch die Ohnmacht der Figuren wird durchaus greifbar und macht die Lektüre dann doch auf eine bedrückende Weise beeindruckend.

Verlag: Heyne
Seitenzahl: 288
Erscheinungsdatum: 13. April 2020
ISBN: 978-3453320468
Preis: 14,99 € (E-Book: 11,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

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