Neulich erzählte mir eine Freundin begeistert von dem Roman, den sie gerade las. Sie wollte ihn mir empfehlen, hatte aber den Titel vergessen. "Er spielt im Westerwald", begann sie ihn zu beschreiben und ich dachte mir, dass das jetzt nicht unbedingt der vielversprechendste Schauplatz sei. Aber als sie fortfuhr "Er heißt so ähnlich wie 'Was ich sehe'!" fiel bei mir der Groschen.
Mariana Lekys "Was man von hier aus sehen kann" war vielleicht das schönste Buch, das ich letztes Jahr gelesen habe. Nun wurde ich gerade doppelt daran erinnert - zum einen durch meine Freundin, zum anderen, weil es gerade von den Leserinnen und Lesern des Branchenmagazins "BuchMarkt" zum Buch des Jahres 2017 gekürt wurde (und Verfasserin Mariana Leky zur Autorin des Jahres).
Schon das so unaufdringliche wie märchenhafte Cover von „Was man von hier aus sehen kann“ zeigt, dass man es als Leser mit
einem ganz besonderen Roman zu tun hat. Das abgebildete Okapi spielt
eine wichtige Rolle, obwohl es nur in den Träumen der alten Selma
auftaucht. Doch das ganze Dorf weiß, dass Selmas Okapi-Träume stets
Vorboten für einen nahenden Todesfall sind und ist deswegen in höchster
Alarmbereitschaft. In diesem Roman wird dann auch gestorben, aber noch
viel mehr gelebt und geliebt. Es gibt eine ganze Handvoll von
Hauptfiguren, die ich vielleicht verschroben nennen würde, wären sie mir
während der Lektüre nicht gar so sehr ans Herz gewachsen. Im
Mittelpunkt steht Luise, die zu Beginn des Romans zehn Jahre alt ist und
im Laufe des Buches erwachsen wird. Doch genauso wichtig sind ein
Optiker, der das Talent hat, die unmöglichsten Zusammenhänge
aufzustellen, ein junger Gewichtestemmer, eine abergläubische
Kräutersammlerin, Luises von Okapis träumende Großmutter Selma, ein
buddhistischer Mönch und ein besonders hässlicher Hund mit dem Namen
Alaska. Die Protagonisten sind weder besonders schön (abgesehen von dem
Mönch vielleicht) noch außergewöhnlich gebildet (abgesehen von dem
Optiker vielleicht). Sie sind keine strahlenden Helden, aber sie haben
eine außergewöhnliche Herzenswärme, die liebenswertesten Marotten, die
man sich vorstellen kann und oft auch einen weisen Blick auf die Dinge.
Mariana Leky lässt ihre Leser vollends in die kleine, komplexe Welt
ihrer Figuren eintauchen, und diese Welt ist so anrührend, dass sich das
beim Lesen wie ein Geschenk anfühlt. Die Autorin hat außerdem einen
einzigartigen Stil. Die Sprache des Romans ist wunderschön poetisch, was
seine Lesbarkeit aber keinesfalls einschränkt. Mit kunstvoller
Leichtigkeit wird mit Worten gespielt und vor vielen Kapiteln begonnene
sprachliche Fäden werden später unverhofft erneut aufgenommen. Ein ganz
feiner, leiser Humor schimmert immer wieder durch. Ein Buch zum
intensiven Mitfühlen und dabei ohne jeden Kitsch. Ich bin nach wie vor ganz
verzaubert von diesem Leseerlebnis.
Verlag: DuMont Buchverlag
Seitenzahl: 320
Erscheinungsdatum: 18. Juli 2017
ISBN: 978-3832198398
Preis: 20,00 € (E-Book: 15,99 €)
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