Bereits im März habe ich Karine Tuils "Die Zeit der Ruhelosen" gelesen und rezensiert. Das Buch ist ein eindringlicher Gesellschaftsroman über Aufstiege, Niedergänge und die Unmöglichkeit, die eigene Herkunft abzuschütteln; es hat mich ziemlich beeindruckt. Deswegen und weil Karine Tuil eine französische Autorin ist und Frankreich ja gerade Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, will ich den Blog mit diesem bei Ullstein erschienen Roman starten.
„Die Zeit der Ruhelosen“ liest sich sehr intensiv. Schon der Einstieg –
die Schilderung eines Afghanistan-Einsatzes aus der Sicht eines
französischen Soldaten – ist hart und gleichzeitig die Vorbereitung des
Lesers auf das, was noch folgt: Zwar sind Krieg und Terror nicht die
Hauptthemen des Buches, tauchen aber immer wieder auf. Die Protagonisten
in Karine Tuils Roman kommen, wie der Titel schon sagt, nicht zur Ruhe:
Ein Afghanistan-Heimkehrer, ein erfolgreicher Geschäftsmann und ein
politischer Aufsteiger. Zwar kreuzen sich ihre Wege im Verlauf des
Buches, doch sie haben kaum etwas gemeinsam. Jeder von ihnen ist ein
Einzelkämpfer und strebt nach dem, was ihm wichtig ist: Karriere,
Anerkennung, Liebe. Immer wieder geht es dabei um Macht. Die Macht,
etwas zu bewirken, zu beeinflussen oder zu kontrollieren. In ihrem
Streben kommen die Hauptfiguren ins Straucheln und müssen mehr oder
weniger schmerzhaft feststellen, dass sie nicht frei agieren können,
dass insbesondere ihre Herkunft sie nicht loslässt. Sie können ihre
Vergangenheit nicht abschütteln, sie holt sie ein, egal, wie sehr sie
sich innerlich und äußerlich von ihr distanzieren. Der Soldat wurde
durch seinen letzten Einsatz traumatisiert, der Geschäftsmann muss sich
durch die Presse daran erinnern lassen, dass er als Jude geboren wurde
und sieht sich bald einer antisemitischen Hetzampagne ausgesetzt. Der
politische Aufsteiger entfernt sich gerne und schnell von seinen
Banlieue-Wurzeln, doch sowohl seine neuen Kollegen als auch ein alter
Freund, der sich religiös radikalisiert hat, lassen nicht zu, dass er
diese vergessen kann.
Doch in „Die Zeit der Ruhelosen“ wird auch
geliebt und geweint. Es ist ein vielschichtiges Buch, das mich sehr
gefesselt hat. Ich konnte mit den Protagonisten mitfühlen, denn auch
wenn sich meine Sympathien bisweilen in Grenzen hielten: Karine Tuil
zeigt nachvollziehnbar, was jeden einzelnen antreibt. Parallel ist man
bei Aufstiegen und Untergängen der einzelnen Figuren dabei. Mich hat
beeindruckt, wie gut die Autorin die Erlebniswelt der drei so
unterschiedlichen Protagonisten erfasst hat: Man zieht mit ihnen in den
Krieg, die PR-Schlacht, den Élysée-Palast. Karine Tuil beschreibt
Atmosphären, Orte und Gefühle so eindringlich, dass man als Leser kaum
näher dran sein könnte. Und so ist auch das Leseerlebnis ruhelos, und
genauso lässt einen das Buch nach seinem dramatischen Finale zurück. Ein
großer Roman, den es sich unbedingt zu lesen lohnt.
Verlag: Ullstein Hardcover
Seitenzahl: 512
Erscheinungsdatum: 10. März 2017
ISBN: 978-3550081750
Preis: 24,00 € (E-Book: 19,99 €)