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18. März 2018

Bianca Marais: Summ, wenn du das Lied nicht kennst

Das folgende Buch wollte ich unbedingt lesen. Das Cover sprach mich zwar gar nicht an (es zieren filigran gezeichnete Vögeln und Pflanzen, in der gedruckten Ausgabe ist es außerdem rosafarben), der Inhalt aber um so mehr.


16.06.1976 – Schicksalstag in Südafrika. Im Township Soweto beginnt ein beispielloser Schüleraufstand gegen das rassistische Bildungssystem sowie das Apartheidsregime an sich. Die Polizei geht mit brutaler Gewalt gegen die größtenteils minderjährigen Demonstranten vor, viele sterben. Mittendrin im Geschehen ist die 49-jährige Beauty Mbali, eine der beiden Hauptfiguren im Roman „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“. Sie demonstriert nicht, sie sucht – ihre 17-jährige Tochter Nomsa, die seit sieben Monaten bei der Familie von Beautys Bruder wohnt, um in Soweto eine höhere Bildung zu erlangen, als es ihr an den Schulen in ihrem Homeland möglich wäre. Beauty kann Nomsa in den Unruhen nicht finden, auch in den Tagen, Wochen, Monaten danach bleibt das Mädchen verschwunden. Doch Beauty gibt ihre Tochter nicht auf.

Auch für die neunjährige Robin ist der 16.06.1976 ein Schicksalstag. Das kleine weiße Mädchen wohnt in der Minenstadt Boksburg, 50 km von Soweto entfernt, und bekommt dort nur wenig von den Unruhen in Soweto mit. Auch ihre Eltern gehen abends unbesorgt zu einer Einladung – werden auf dem Weg dorthin jedoch von Schwarzen ermordet. Von einem auf dem anderen Tag Vollwaise, bleibt Robin nur noch ihre alleinstehende Tante Edith, die Stewardess und mit ihrer plötzlichen Vormundschaft für ein Kind heillos überfordert ist. Schließlich kreuzen sich ihre und Beautys Wege.

Die südafrikanische Autorin Bianca Marais, selbst erst 1976 geboren, schildert die Auswirkungen der Apartheid in „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ aus verschiedensten Perspektiven, was ich als wirklich gelungen empfunden habe. Zunächst einmal werden unterschiedliche Ausprägungen von Rassismus gezeigt: Bösartig, gedankenlos, gewohnheitsmäßig. An Robins Beispiel wird deutlich, was es mit einem Kind macht, wenn es in der Überzeugung aufwächst, es sei aufgrund seiner Hautfarbe anderen Menschen grundsätzlich überlegen. Durch Randbemerkungen von Beauty und anderen schwarzen Protagonisten zeigt sich, wie sich die Apartheid auf alle Lebensbereiche auswirkte: Toiletten für Weiße benutzen? Verboten. Ohne Genehmigung außerhalb des eigenen Homelands unterwegs sein? Verboten. Am Strand spazieren oder im Meer baden? Verboten, auch das ist den Weißen vorbehalten. Paradoxerweise, denn wie lässt Marais ihre Protagonistin Beauty denken: „Ich habe keine Ahnung, warum sie stundenlang in der Sonne braten, um braun zu werden, wo sie unsere Hautfarbe doch so abstoßend finden.“

Doch es gibt auch Weiße, die Beauty helfen. Menschen, denen man ihre guten Absichten vielleicht erst auf den zweiten Blick ansieht. Außenseiter mit gutem Herzen. Der Roman handelt viel von Schwarz und Weiß, ist aber nicht schwarzweiß, was mir sehr gefallen hat.

Allerdings wurde mir „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ irgendwann zu überladen. Nach dem Verlust ihrer Eltern macht Robin eine Wandlung durch, in deren Verlauf sie erkennt, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie und eine Schwarze das gleiche Geschirr und Badezimmer benutzen. Eine so begrüßenswerte wie nachvollziehbare Erkenntnis. Dass dieses verlorene, verstörte Mädchen aber schließlich in einer „Shebeen“, einer illegal betriebenen Kneipe in Soweto, eine flammende Rede darüber hält, dass sie hofft, dass Nelson Mandela eines Tages das Land regieren und die Nation heilen wird, so dass sie alle als Gleiche zusammenleben können – das war mir entschieden zu viel der Wandlung und weiser Vorhersehung. Das Kind wächst in einem Maße über sich hinaus, das mir fast märchenhaft erschien. Auch sonst war der Roman an einigen Stellen einfach zu schön, um wahr zu sein. Sowohl Robin als auch Beauty lernen im Verlauf des Buches, „dass einem Freunde an den seltsamsten Orten und in völlig unerwarteter Gestalt begegnen können“. Aber dass Robins neuer Freundeskreis aus einem jüdischen Jungen, einem homosexuellen Paar, weißen Widerständlern und einem Farbigen besteht, kam mir doch arg konstruiert vor; sämtliche diskriminierte Minderheiten schienen vertreten. Hier hat es Autorin Marais für meinen Geschmack einfach übertrieben – sicher aus ehrenwerten Motiven, aber zu Lasten der Glaubwürdigkeit.

Trotzdem ist „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ ein empfehlens- und lesenswerter Roman, der das Südafrika der 1970er Jahre auf viele verschiedene Arten illustriert. Mir hat er es emotional nähergebracht, als es ein Sachbuch, eine Ausstellung oder eine Fernsehdokumentation gekonnt hätten. Dies ist ein Verdienst des Buches. Am Ende deutet Hauptfigur Robin an, dass es eventuell eine Fortsetzung gibt, die ich mir aufgrund des offenen Endes sehr gut vorstellen könnte – und auf jeden Fall lesen würde.

Verlag: Wunderraum
Seitenzahl: 512
Erscheinungsdatum: 12. März 2018
ISBN: 978-3336547944
Preis: 23,00 € (E-Book: 15,99 €)

7. März 2018

Torsten Seifert: Wer ist B. Traven?

Den folgenden Roman habe ich beim Literaturportal Lovelybooks gewonnen. Er wurde mit "Für Fans des Schwarzweißkinos" beworben. Wenn sich die Gelegenheit zufällig bietet, schaue ich vielleicht mal einen alten Heinz Erhart-Film oder "Drei Männer im Schnee", hier war allerdings ein weniger lustiges Schwarzweißfilm-Genre gemeint. Trotzdem war das nicht der Hauptgrund, dass ich mit dem Roman nicht komplett warm wurde.


Wer ist B. Traven? Wer sich diese Frage noch nie gestellt hat, dem seien hier in aller Kürze die Fakten genannt: B. Traven war ein höchst erfolgreicher Autor, dessen Romane und Erzählungen größtenteils in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienen. Man geht davon aus, dass er in Mexiko lebte, dem Handlungsort seiner meisten Werke. Wer B. Traven jedoch wirklich war, ist bis heute nicht hundertprozentig erwiesen. Es existieren keine Fotos vom Autor, er trat nirgends in Erscheinung und verheimlichte sowohl seinen Werdegang als auch Aufenthaltsort. B. Traven war ein Phantom – ein bestsellerschreibendes Phantom, was insbesondere den Medien keine Ruhe ließ.
Der Roman „Wer ist B. Traven?“ beginnt damit, dass das amerikanische Life-Magazin im Jahr 1947 eine Art Kopfgeld auf B. Traven aussetzt – die Identität des Bestsellerautors soll um jeden Preis gelüftet werden. Der junge Journalist Leon Borenstein wird von seinem Chef beauftragt, das Geheimnis zu enthüllen und reist zur Verfilmung des Traven-Romans „Der Schatz der Sierra Madre“ nach Mexiko, unter dem Vorwand, Hauptdarsteller Humphrey Bogart interviewen zu wollen. Ihm wird zwar erzählt, dass bereits drei andere Reporter auf B. Traven angesetzt waren, die alle unter mehr oder minder mysteriösen Umständen außer Gefecht gesetzt wurden – doch dem misst er erst einmal keine Bedeutung bei und macht sich auf die Reise. Doch bald muss auch Leon Borenstein am eigenen Leib erfahren, dass B. Traven nicht so einfach zu fassen ist …

Dem Autor Torsten Seifert gelingt es in seinem Roman bestens, Realität und Fiktion zu vermischen. Der Leser macht sich gemeinsam mit Hauptfigur Borenstein auf die Suche nach B. Traven. Egal ob beim Schachspiel mit Humphrey Bogart, in der Stierkampf-Arena oder in einem mexikanischen Bordell – der Roman ist so detailliert, dass es tatsächlich so gewesen sein könnte – abgesehen davon, dass Borenstein eine Erfindung von Seifert ist.

Die Lektüre von „Wer ist B. Traven“ hat mir das Mexiko Mitte des 20. Jahrhunderts atmosphärisch nahegebracht. Damit hatte ich im Vorfeld nicht unbedingt gerechnet und fand es durchaus interessant. Allerdings hatte ich mehr Spannung erwartet, die aber nur gelegentlich aufkam. Grund dafür mag der ein oder andere Zeitsprung oder Ortwechsel sein, der für mich als Leser zu überraschend kam, doch auch den Motiven einiger Protagonisten vermochte ich nicht zu folgen. Teilweise blieben Zusammenhänge einfach verborgen. Für den Ausgang der Geschichte mögen sie nicht unbedingt wichtig gewesen sein, doch jegliche Spannung verpuffte dadurch immer wieder. Mehr als die wahre Identität B. Travens beschäftige mich die Frage, welche Absichten welche Figur eigentlich verfolgte – ohne, dass das irgendwann aufgelöst worden wäre. Auch Leon Borenstein blieb eine eher blasse Haupfigur, mit der ich nicht so richtig mitfiebern konnte.
So blieb ich dann nach Abschluss des Buches auch etwas unzufrieden zurück und hatte das Gefühl, es wäre mir irgendwie nicht gelungen, tief genug einzusteigen.
Dennoch nehme ich einiges an Mexiko-Feeling mit, schöne Sätze und interessante Gedanken. „Wer ist B. Traven?“ ist gut geschrieben und grandios recherchiert. Die Lektüre lohnt sich, ich warne jedoch davor, einen fesselnden Abenteuerroman zu erwarten. Wer so etwas lesen will, sollte – nach all den im Buch zu lesenden Beschreibungen – wohl doch eher direkt zu B. Travens Werken greifen.

Verlag: Tropen
Seitenzahl: 269
Erscheinungsdatum: 14. Oktober 2017
ISBN: 978-3608503470
Preis: 20,00 € (E-Book: 15,99 €)

7. Februar 2018

Yewande Omotoso: "Die Frau nebenan"

Folgendes Buch besitze ich bereits seit ein paar Monaten, habe es aber jetzt erst anläslich eines Kapstadt-Besuchs gelesen. Mein Glück, denn sonst hätte ich wirklich etwas verpasst. Da es abseits aller Touristenpfade spielt, hat es zwar inhaltlich gar nicht so sehr zum Urlaub gepasst, aber einen großartigen Eindruck von den Schwierigkeiten des Miteinanders gegeben, dem Erfahrungen, Prägungen, Traditionen im Weg stehen können - nicht nur in Südafrika.


Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...


… wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt – oder der bösen Nachbarin. Hortensia und Marion können davon ein Lied singen, wobei sich hier kaum eine Einteilung in „fromm“ und „böse“ vornehmen lässt. Die Nachbarinnen, bereits jenseits der achtzig und in einem reichen Kapstädter Vorort namens Katterijn wohnend, pflegen eine bereits Jahrzehnte währende Abneigung zueinander. Die dunkelhäutige Hortensia wirft der weißen Marion Rassismus vor, Marion Hortensia dagegen Boshaftigkeit – beides ist gerechtfertigt. Doch als sie, inzwischen verwitwet und auf sich alleingestellt, in unterschiedliche Notsituationen kommen, nähern sie sich einander an und räumen der jeweils anderen widerwillig einen Platz in ihrem Leben ein. Ihr Umgang miteinander bleibt dabei scharfzüngig und schonungslos, aber dennoch müssen sie feststellen, dass sie einander tatsächlich mal Stütze, mal moralischer Kompass sein können – und niemand ist darüber verblüffter als die beiden selbst.

Hortensia und Marion haben sehr unterschiedliche Lebenswege hinter sich, die im Laufe des Romans in Form von Erinnerungen erzählt werden. Jede von ihnen blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Marion, 1933 in Südafrika geborene Tochter litauischer Auswanderer, hat sich eine Karriere als Architektin aufgebaut und vier Kinder großgezogen. Hortensia dagegen ist in Barbados aufgewachsen, hat in London studiert und ist schließlich eine so bekannte wie erfolgreiche Textildesignerin geworden, die vor ihrem Umzug nach Kapstadt lange mit ihrem englischen Ehemann in Nigeria lebte. Im Vergleich zu ihr wirkt Marion gelegentlich etwas blass, was nicht nur Hortensias scharfer Beobachtungsgabe und ihrer verbittert-unversöhnlichen Perspektive geschuldet ist. Ein Blick auf den Lebenslauf der Autorin legt nahe, dass ihr die Figur der Hortensia beim Schreiben des Romans auch etwas näherstand, hat sie deren Lebensstationen doch an ihre eigene Biografie angelehnt: Yewande Omotoso ist in Barbados geboren, in Nigeria aufgewachsen und lebt heute in Südafrika. Die 37-jährige Autorin ist sie viel jünger als ihre Protagonistinnen, die dennoch so glaubwürdig wie lebendig erscheinen, wenn auch Marions Konturen nicht ganz so scharf herausgearbeitet wurden wie Hortensias.

Omotoso schildert die beiden unterschiedlichen Frauenschicksale sehr anschaulich. Die sich unterhaltsam lesenden Wortduelle der beiden lockern eine Lektüre auf, die große Fragen anpackt: Wo fängt Rassismus an? Wie kann Versöhnung aussehen? Eine Geschichte über Einsamkeit und Freundschaft, inneren Frieden und Rachegelüste, angesiedelt in der südafrikanischen Post-Apartheid-Ära und damit in einem spannungsgeladenen Umfeld. „Die Frau nebenan“ ist vielschichtig und alles andere als schwarz-weiß. Ein feiner Lesegenuss, der nachwirkt.

Verlag: List
Seitenzahl: 272
Erscheinungsdatum: 10. März 2017
ISBN: 978-3471351444
Preis: 18,00 € (E-Book: 14,99 €)

31. Januar 2018

Homer Hickam: "Albert muss nach Hause"

Zum Monatsende hin habe ich ein weiteres Weihnachtsgeschenk beendet. Meine lesebegeisterte Tante hat es mir geschickt und wie so oft ein gutes Händchen bewiesen. Das Buch hat einen Hauch von Magie in diesen Januar gebracht - ohne dabei in irgendeiner Art und Weise Übersinnliches anzudeuten. Aber schon das Cover zeigt, dass man es hier mit keiner ganz normalen Geschichte zu tun hat ...


„Albert muss nach Hause“ handelt von einem außergewöhnlichen Roadtrip. Elsie und ihr Mann Homer wollen ihren Alligator Albert nach Orlando bringen, wo er vermutlich hergekommen ist – zumindest hat ihn ein von dort stammender Ex-Freund Elsie zur Hochzeit geschenkt. Damals passte Albert noch in eine kleine Pappschachtel, doch inzwischen hat er eine ansehnliche Größe erreicht und es wird Zeit für ihn, das Bergarbeiterstädtchen Coalwood in West-Virginia zu verlassen – findet zumindest Homer. Sorgen bereitet ihm allerdings, dass seine Frau Elsie ihrer Heimat – und eventuell auch ihm – ebenfalls den Rücken kehren will. Homer hofft, dass sich alles regeln lässt, wenn sie Albert erst einmal losgeworden sind. Und so begibt sich das junge Ehepaar auf diese Reise mit ungewissem Ausgang. Ungeplant hat es sogar gleich zwei tierische Begleiter: Neben Alligator Albert kommt auch noch ein so namen- wie herrenloser Hahn mit, dessen Anwesenheit zwar sowohl Romanfiguren als auch Leser vor ein Rätsel stellt, der aber alles in allem eine charmante Figur macht.

Homer Hickam der Jüngere, ein Jahre nach diesem Roadtrip geborener Sohn von Elsie und Homer, ist Autor und Erzähler dieser so skurrilen wie warmherzigen Geschichte. Zwischen den einzelnen Reisestationen schildert er kurz, wie er von seinen Eltern von den jeweiligen Etappen erfuhr; sie wurden ihm im Laufe seines Lebens nach und nach erzählt. Was in diesem Roman tatsächlich der Wahrheit entspricht, wird sein Geheimnis bleiben. Elsie, Homer der Ältere, Albert und die Reise nach Florida scheint es wirklich gegeben zu haben – und die anderen Geschehnisse? „Die haben wir auch alle gemacht,“ sagt Elsie „auch wenn wir sie nicht gemacht haben“. Als Leser kann man kaum anders, als zu hoffen, dass die Erlebnisse von Elsie, Homer und Albert wahr sind – auch wenn sie teilweise ziemlich verrückt erscheinen und mindestens zwei von den drei Hauptfiguren regelmäßig mehr Glück als Verstand haben. Man wünscht sich, dass Elsie in ihrem Leben wirklich die Chance hatte, sich immer wieder neu zu erfinden und dass Homer tatsächlich mit dieser geduldigen Güte gesegnet war, die ihn im Roman auszeichnet. Und Albert? Die eigentliche Hauptfigur des Buches ist der vermutlich sympathischste Alligator, von dem man je gehört hat. Den möchte man am liebsten am Bauch kraulen, bis er grinst, und ihm dabei seine Glückslaute entlocken, die wie „Yeah-yeah-yeah“ klingen.

Die drei mit dem zugelaufenen Hahn auf ihrer Reise zu begleiten, fühlt sich wie ein modernes Märchen an. Ein Märchen in dem Kismet eine große Rolle spielt, in dem „das Alpha und das Omega der amerikanischen Literatur“ in Form von John Steinbeck und Ernest Hemingway Gastauftritte haben und in dem man nicht mal den gefühlt in jedem zweiten Teil vorkommenden Ganoven Slick und Huddie böse sein kann. Ein Märchen, in dem mitunter alles möglich scheint und das wie im Flug vergeht. „Albert muss nach Hause“ ist eine bezaubernde Unterhaltung.

Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 528
Erscheinungsdatum: 9. Oktober 2017
ISBN: 978-3959671262
Preis: 9,99 € (E-Book: 7,99 €)

25. November 2017

Kirsten Boie: "Thabo – Detektiv und Gentleman. Der Rinderdieb"

Ende August und Anfang September dominierten zwei Gentlemen meinen E-Book-Reader. Von dem einen habe ich kürzlich bereits berichtet: Alexander Graf von Rostov, "Ein Gentleman in Moskau". Er hat dem zweiten Gentleman, von dem ich las, in puncto Höflichkeit und formvollendete Manieren zugegebenermaßen einiges voraus, aber das ist verzeihbar - Thabo ist schließlich noch viel jünger als er und geht das Gentleman-Leben auch eher "learning by doing" an.

Ich hatte von "Thabo - Detektiv und Gentleman" noch nie gehört, was sicher daran liegt, dass ich mich nur selten mit Kinder- und Jugendbüchern beschäftige. Allerdings lese ich gerne Bücher, die im südlichen Afrika spielen, und dass eine deutsche Autorin, die ich schon aus meiner eigenen Kindheit kenne, Kinderkrimis schreibt, die in Swasiland angesiedelt sind, fand ich doch sehr spannend. Als es bei Lovelybooks die Gelegenheit gab, dieses Buch in einer Leserunde zu gewinnen und gemeinsam zu lesen, war ich daher sofort dabei.


„Der Rinderdieb“ ist der dritte Band um den swasiländischen Jungen Thabo, der bei seinem Onkel, einem Safari-Ranger aufwächst und einen, bzw. sogar zwei klare Berufswünsche hat: Er will Detektiv und Gentleman werden! In beidem übt er sich schonmal: In diesem Band wird er bereits das dritte Mal in einen Kriminalfall verwickelt, denn erst verschwinden Rinderherden und dann auch noch seine ältere Freundin Miss Agatha, mit der er ab und zu Miss Marple-Filme schauen darf. Außerdem wurden mehrere Hütten abgebrannt. Was geht in und um das Dorf Hlatikulu nur vor sich? Thabo und seine Freunde Emma und Sifiso versuchen, den Fall zu lösen. Dabei zeigt sich, dass Ich-Erzähler Thabo bereits ein Gentleman ist: Höflich hält er seine ausländischen Leser auf dem Laufenden, spricht sie immer wieder direkt an und erläutert ihnen seine Sichtweise der Dinge. Die Urlauber, die in der Lodge von Emmas Mutter leben, geben ihm zum Beispiel oft Rätsel auf: „Touristen sind merkwürdig. Wenn sie sich bei ihrer Safari nicht wenigstens ein bisschen fürchten, sind sie unzufrieden. Andererseits möchten sie aber auch gerne lebend nach Hause zurückkommen.“ Als Leser kann man gar nicht anders, als Thabo, der sein Alter nicht verrät (als Gentleman spricht er nicht darüber) in sein Herz zu schließen.

Dieses Buch war der erste Thabo-Band, den ich gelesen habe – aber nicht der letzte! Auch ohne Vorkenntnisse habe ich mich von Anfang an bestens zurechtgefunden. Die Hauptfigur Thabo hat es mir sofort angetan; Autorin Kirsten Boie schildert seine Perspektive so charmant wie nachvollziehbar. Boie hat durch viele Reisen selbst einen liebevollen Blick auf Land und Leute entwickelt und den gekonnt auf ihre Hauptfigur übertragen. Dadurch, dass sie sich im südlichen Afrika offensichtlich sehr gut auskennt, vermittelt das Buch außerdem einiges an Wissen über die Lebensumstände dort. Das geschieht ganz nebenbei, ohne die eigentliche Geschichte zu stören, da Thabo einfach immer wieder von sich, seinem Kumpel Sifiso und seiner Freundin Emma erzählt. Diese lebt als Tochter der (weißen) Lodge-Inhaberin ein völlig anderes Leben als die Waisen Thabo und Sifiso; letzterer ist mit drei Geschwistern auf sich alleine gestellt, während Thabo bei seinem Onkel aufwächst. Aber als Freunde sind sie alle gleichberechtigt, wenn sie auch ab und an unterschiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben. Für die Lösung des Falls sind dann auch alle drei unentbehrlich.

Kirsten Boie vermittelt, dass weder unterschiedliche Besitzverhältnisse noch Lebensumstände noch Hautfarbe etwas über den Charakter eines Menschen aussagen. Was zählt, sind Aufrichtigkeit und Freundschaft.  Ich war einfach nur beeindruckt, wie sie nebenbei auch schwierige Themen anspricht, nichts verschweigt oder beschönigt, dabei aber kindgerecht bleibt und eben auch zeigt, dass die äußeren Umstände nicht das Herz eines Menschen definieren. Ich werde „Thabo“ sicher an einige Kinder verschenken, denn dieses Reinschnuppern in ein weit entferntes Land und das Kennenlernen von Thabo, Emma und Sifiso, die bei aller Pfiffigkeit doch ganz normale Kinder sind – das kann nur bereichernd sein und den Blick auf diese Welt wieder etwas mehr öffnen. Ich kann dieses Buch nur empfehlen.

Verlag: Oetinger
Seitenzahl: 320
Vom Verlag empfohlenes Alter: 10-12 Jahre
Erscheinungsdatum: 21. August 2017
ISBN: 978-3789120343
Preis: 12,99 € (E-Book: 9,99 €)

19. November 2017

Etgar Keret: "Die sieben guten Jahre: Mein Leben als Vater und Sohn"

Als ich zu diesem Buch griff, hatte ich noch nie von Etgar Keret gehört - dachte ich zumindest. Nach der Lektüre googelte ich ihn und stellte fest, dass der israelische Schriftsteller erst Anfang November für die letzte Seite des ZEIT Magazins interviewt worden war; in der Rubrik "Das war meine Rettung", die ich sehr gerne lese.
Und so ist Keret mir also bereits vor knapp zwei Wochen einmal begegnet, aber da mir sein Name damals noch nichts sagte, hatte ich das Interview offensichtlich schnell wieder vergessen. Als ich mir das E-Book runterlud, war mir nicht bewusst, dass er ein internationaler Bestsellerautor ist, dessen Bücher bereits in 37 Sprachen übersetzt wurden. Mich hatten einfach der Titel und die Kurzbeschreibung angesprochen - und das Cover, das in schwarzweiß leider längst nicht so ein Eyecatcher ist wie in gelb auf der Homepage des Fischer Verlages.


Keret erzählt in „Die sieben guten Jahre“ Anekdoten, die sich in den Jahren ab der Geburt seines Sohnes bis hin zum Tode seines Vaters zugetragen haben. Er wird dabei sehr persönlich – so persönlich, dass er sich entschieden hat, dieses Buch nicht auf Hebräisch und nicht in seinem Heimatland Israel zu veröffentlichen. Er schrieb es zwar in seiner Muttersprache, ließ es dann jedoch sofort ins Englische übersetzen und nur diese englische Fassung wurde lektoriert und von ihm überarbeitet. Keret sieht seine ausländischen Leser als Fremde, denen er in einem Zugabteil begegnet und denen er für die Dauer dieser Zugfahrt Geschichten erzählt – bevor er wieder aussteigt und die Wege sich trennen.

Ich habe „Die sieben guten Jahre“ innerhalb von zwei Tagen an allen möglichen Orten gelesen (im Zug allerdings nicht), so sehr haben mir Kerets Anekdoten gefallen. Ich hatte eigentlich mit einem Roman gerechnet, aber das Buch enthält in sich abgeschlossene Geschichten, die chronologisch besagten sieben Jahren zugeordnet werden. Ein winziges bisschen fühlte ich mich an die Erzählungen von Horst Evers erinnert, die ich sehr mag. Keret ist kein Kabarettist, aber er hat Humor und Witz und genau wie eine gewisse Melancholie schwingen diese in seinen Geschichten mit. Sein Stil ist dabei unheimlich leichtfüßig.
Inhaltlich sind die Geschichten eine Mischung aus Alltagsbeobachtungen, eigenen Erlebnissen und Erinnerungen an skurrile Situationen. Ein Streitgespräch mit einem Taxifahrer, der den dreijährigen Sohn des Autors angebrüllt hatte, liest sich ebenso unterhaltsam und weise wie die Geschichte um das Warschauer Keret-Haus, das den Familiennamen wieder zurück in die Geburtsstadt der Mutter brachte.

Kerets Herz gehört seiner Heimat Israel. Der jüdische Glaube an sich scheint für ihn keine große Rolle zu spielen; er selbst glaubt nicht an Gott, lebt aber in einem Land, in dem Religion und Politik untrennbar miteinander verbunden sind. Auch in den „Sieben guten Jahren“ gab es Auseinandersetzungen um den Gaza-Streifen, Operationen mit Namen wie „Gegossenes Blei“ und „Wolkensäule“. Bombenalarme und Gespräche über Krieg gehörten teilweise zum Alltag des Autors und fließen so auch in seine Geschichten ein. Im gleichzeitig traurigen, komischen und berührenden Kapitel „Pastrami“ schildert Keret, wie er und seine Frau mit dem kleinen Sohn spielen, dass sie drei ein Sandwich bilden – so können sie das Kind während eines Bombenalarms gleichzeitig beruhigen und es dazu bringen, sich mit ihnen neben dem Auto in einen Graben zu legen. Der Autor sieht Israels Politik durchaus kritisch, auch das blitzt immer wieder in seinen Geschichten durch. Vor allem erzählen sie jedoch davon, wie Alltag in Israel heute aussieht, und das fand ich sehr interessant. „Die sieben guten Jahre“ haben mir Israel mit all seinen Widersprüchen ein ganzes Stück nähergebracht. Wobei Keret vermutlich zu den Autoren gehört, die über alles schreiben könnten – durch seinen Stil, seinen Witz, seine Ehrlichkeit und seine besondere Beobachtungsgabe wäre das Ergebnis auf jeden Fall lesenswert.

Verlag: Fischer Taschenbuch
Seitenzahl: 224
Erscheinungsdatum: 23. März 2017 (25. Februar 2016 als Hardcover)
ISBN: 978-3100495204
Preis: 10,99 € (E-Book: 9,99 €)

2. November 2017

Amor Towles: "Ein Gentleman in Moskau"

Nachdem in meinen ersten beiden Buchvorstellungen nicht unbedingt schöne oder bequeme Romane rezensiert werden, stelle ich diesmal einen Titel vor, der einen weitaus höheren Wohlfühlfaktor mit sich bringt. Was erstaunlich ist, handelt das Buch doch vom Leben eines russischen Adeligen, der jahrzehntelang im Moskauer Hotel Metropol unter Hausarrest steht. Trotzdem ist "Ein Gentleman in Moskau" erstaunlich kurzweilig und außerdem vergnüglich, feinsinnig und weise.
Wie unten zu sehen ist, habe ich das Buch als E-Book gelesen. Ich habe es bei Vorablesen.de gewonnen und mich Anfang September hineinvertieft.


Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass in diesem Roman nicht viel passiert. Gleich zu Anfang, wir befinden uns im Jahr 1922 in Moskau, wird die Hauptfigur Graf Alexander Rostov zu besagtem lebenslangen Hausarrest an seinem aktuellen Wohnort verurteilt. Dieser ist jedoch nicht das heimische Gut, da der Adelsstand schon einige Jahre zuvor abgeschafft wurde und Graf Rostov es längst verlassen musste. Seitdem lebt er im Hotel Metropol, dem ersten Haus am Platze in Moskau. Es verfügt unter anderem über zwei Restaurants, eine Bar, einen geschlossenen Blumenladen und eine Nähstube, so dass dem 33-jährigen Grafen immerhin nicht sofort die Decke auf den Kopf fällt.

Doch der Hausarrest des Grafen geht über Jahrzehnte, und als Leser begleitet man ihn dabei. Werden seine Begegnungen und Erlebnisse anfangs noch ausführlich geschildert, gibt es schließlich vermehrt Zeitsprünge. Diese wirken jeder Monotonie entschieden entgegen. Und auch sonst ist Graf Rostovs Leben im Hotel nur eine kleinere Ausgabe des Lebens in der richtigen Welt: Auch hier wird geliebt, gelacht und einander geholfen. Aber es wird auch bespitzelt und intrigiert – gegen die ehemals herrschende Klasse und eigentlich gegen jeden, der nicht zu den Bolschewiki zählt, kritisch hinterfragt oder auf die Äußerung seiner eigenen Meinung wert legt.

Bei der Lektüre dieses Romans habe ich einiges über das Leben im Russland des 20. Jahrhunderts gelernt; nicht zuletzt durch die gelegentlichen Fußnoten, die eine Brücke zwischen Fiktion und Wirklichkeit schlagen. Trotz der zerstörerischen Politik dieser Jahre handelt „Ein Gentleman in Moskau“ auch von Idealisten wie Graf Rostovs Freund Michail Fjodorowitsch, von selbstbewussten Frauen wie der Näherin Marina, von gutherzigen Parteimitgliedern wie Ossip Iwanowitsch Glebnikow und nicht zuletzt von Gentlemen wie Graf Rostov. Amor Towles hat als Hauptfigur einen beeindruckenden Philanthropen geschaffen, dessen Gedanken das Buch zu einem Lesevergnügen machen. Stets freundlich, höflich und so heiter wie möglich vermittelt er direkt und indirekt, was es heißt, ein Gentleman zu sein. Das Klischee vom grobschlächtigen Russen wird einem nach der Lektüre dieses Buches kaum mehr in den Sinn kommen.

Graf Rostovs teils philosophische Gedanken zu Heimat, Freundschaft und dem Leben generell machen diesen Roman so bemerkenswert. Ich habe mir ganze Passagen markiert, während ich das E-Book las. Es ging viel zu schnell, um sich alles zu merken, aber ich wollte die Sätze auch nicht einfach so an mir vorüberziehen lassen. Auch sprachlich überzeugen die Inhalte.
Und so ist es zwar größtenteils ein ruhiges Buch, aber es gibt auch dramatische Szenen. Zwar passieren oft nur Kleinigkeiten, doch durch die Sprache und die geschilderten feinsinnigen Gedankengänge werden auch diese interessant. Ein wohlkomponiertes, weises Buch mit genau dem richtigen Ende. Mir hat es sehr gefallen!

Verlag: List Hardcover
Seitenzahl: 560
Erscheinungsdatum: 8. September 2017
ISBN: 978-3471351468
Preis: 22,00 € (E-Book: 18,99 €)