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8. April 2019

Joël Dicker: Das Verschwinden der Stephanie Mailer

Joël Dicker gehört zu meinen Lieblingsautoren. Er hat bislang drei Romane geschrieben, die ich alle verschlungen habe und herausragend fand. „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ war noch ein Spontankauf, der mir eine halbe schlaflose Nacht bescherte, als ich einfach nicht mehr aufhören konnte, zu lesen. „Die Geschichte der Baltimores“ kaufte ich mir dann direkt nach Erscheinen und freute mich über das Wiedersehen mit Protagonist Marcus Goldman. Und als jetzt „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ erschien, habe ich meine bei „Vorablesen“ gesammelten Punkte ohne Zögern eingesetzt, um ein Rezensionsexemplar zu ergattern. Und was soll ich sagen? Ich wurde nicht enttäuscht!


„Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ spielt in Orphea, einer beschaulichen Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste. Alljährlicher Höhepunkt des öffentlichen Lebens ist ein Theaterfestival, das in der Romangegenwart im Jahr 2014 bereits 20-jähriges Jubiläum feiern soll. Mindestens halbvergessen scheinen die Ereignisse vom Premierenabend des ersten Festivals 1994: Damals wurden vier Einwohner Orpheas erschossen, unter ihnen die Familie des damaligen Bürgermeisters. Zwei junge Polizisten der State Police konnten den Fall nach mehrmonatiger Arbeit lösen. Einer von ihnen, Jesse Rosenberg, feiert zu Beginn des Romans gerade sein Ausscheiden aus dem Polizeidienst, als ihn eine Journalistin anspricht, die ihm auf den Kopf zusagt, dass er damals in Orphea den Falschen verhaftet hätte. Rosenberg nimmt die geheimnistuerische Stephanie Mailer zunächst nicht ernst, doch nur ein paar Tage später wird die junge Frau als vermisst gemeldet. Hat sie eventuell wirklich etwas herausgefunden – und wohin ist sie verschwunden?

„Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ ist vieles: hochspannend, unterhaltsam, tragisch, begeisternd und voller Leben. Joël Dicker führt seine Leser durch einen dichten Roman voller Perspektivwechsel, Rückblenden und wahnwitziger Wendungen. Doch selbst Entwicklungen, die mir überdreht vorkamen, bekamen irgendwann einen Sinn, wurden nachvollziehbar und fügten sich wie Puzzlestücke in den Gesamtkontext ein. Dieser Autor ist einfach ein Meister seines Fachs: Er hat ein unfassbares Talent, Protagonisten und Schauplätze lebendig werden zu lassen und ein großartiges Gespür für die richtige Dosis. Trotz vieler Details und einer Fülle handelnder Personen bleibt „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ wundervoll lesbar und auf die Haupthandlung fokussiert. Überdies macht der Roman regelrecht süchtig. Es ist wie bei einem Esel, der einer Mohrrübe hinterherläuft: Als Leser fühlt man sich der Lösung der Romanrätsel stets nah und lässt sich von Dicker willig auf jede neue Fährte mitnehmen, was die 672 Seiten im Nu verfliegen lässt. Wenn doch die Wartezeit auf das nächste Buch des Autors nur auch so schnell verginge!

Als Trost für alle, die wie ich nun wieder warten: Seit dem 1.04. ist exklusiv auf tvnow.de „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ zu sehen – als Serie, mit Patrick Dempsey in der Hauptrolle. Ich habe noch keine Folge gesehen, werde das aber als Joël Dicker-Fan natürlich bald nachholen.

Verlag: Piper
Seitenzahl: 672
Erscheinungsdatum: 2. April 2019
ISBN: 978-3492059398
Preis: 25,00 € (E-Book: 18,99 €)

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.

6. März 2019

John Lanchester: Die Mauer

Abschottung und geplante Mauerbauten sind momentan fast Alltagsthemen und so wirkt dieser Roman schon durch seinen Titel hochaktuell. Er spielt allerdings weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit, sondern ist eine Dystopie, wobei sich kaum sagen lässt, wie weit in der Zukunft diese angesiedelt ist. Der technische Fortschritt scheint relativ überschaubar, der gesellschaftliche Wandel jedoch enorm. Autor John Lanchester überlässt es dem Leser, sich zusammenzureimen, was zwischen der Jetztzeit und der Romangegenwart passiert ist, es gibt kaum Einordnung. Zunächst dreht sich sowieso alles ganz und gar um „Die Mauer“.


„Die Mauer“ ist der titelgebende, höchst eintönige Schauplatz des Romans. Sie umschließt ganz Großbritannien, um das Land vor Eindringlingen zu schützen, die schlicht „die Anderen“ genannt werden. Wenn die Küstenwache die Anderen nicht erwischt, sie auch nicht von Drohnen versenkt werden, sondern tatsächlich an Land kommen und sich da der Mauer nähern – dann sind die Verteidiger gefragt. Einer von ihnen ist Ich-Erzähler Joseph Kavanagh. Wie jeder rechtmäßige Bewohner Großbritanniens, der nicht zu einer erhabenen Elite gehört, muss er seinen zweijährigen Pflichtdienst zum Schutz der Insel ableisten und macht dies, wie viele seiner Landsleute, auf der Mauer. Er verbringt viele ereignislose Zwölf-Stunden-Schichten auf seinem Posten, umgeben von Kälte, Beton, Wind, Himmel und Wasser. Dabei ist er hin- und hergerissen zwischen Lethargie und folgendem Wissen: Wenn das Worst-Case-Szenario eintritt und es Andere schaffen, die Mauer zu überwinden, wird die gleiche Anzahl an Verteidigern als Staatenlose auf dem offenen Meer ausgesetzt. Es ist ein unbarmherziges System, das keiner der Protagonisten hinterfragt, denn es ist eine Normalität, an die sich alle komplett gewöhnt haben. Und das ist eine der Erkenntnisse, die „Die Mauer“ ihren Lesern vor Augen führt: Der Mensch kann sich an alles gewöhnen, auch an den Verlust jeglicher Humanität. Autor Lanchester benutzt sogar eine entmenschlichende Sprache, wenn es um „die Anderen“ geht. Im geschilderten System ist alles klar geregelt und wird offen kommuniziert; die Ordnung scheint das Ganze zu legitimieren. Es braucht nicht viel Fantasie, um das Bild von einem sich komplett abschottenden Land und verzweifelten Bootsflüchtlingen auf die Gegenwart zu übertragen.

Die Bürger dieses zum Teil fast postapokalyptisch wirkenden Großbritanniens zeichnen sich größtenteils durch eine fatalistische Grundstimmung aus und sind ganz offensichtlich abgestumpft. Allerdings herrscht ein weitestgehend unausgesprochener Generationenkonflikt zwischen der jungen Generation, die Dienst an der Mauer leisten muss, und den Älteren, die die Welt vor dem alles verändernden „Wandel“ gekannt, ihn aber dennoch zugelassen haben. Auch hier klingeln leise Alarmglocken beim Lesen. Leider spielt die „Täter-“/Elterngeneration nur eine Randrolle, Details und globale Bedeutung des Wandels werden nicht näher ausgeführt. Für die eigentliche Handlung ist dies auch nicht erforderlich, dennoch hätte ich eine größere Ausarbeitung der Dystopie spannend gefunden.

Lanchester hat einen Roman geschrieben, der nicht mehr loslässt, obwohl über weite Strecken nur sehr wenig passiert. Es ist zweifellos eine Kunst, Monotonie auf eine fesselnde Art und Weise darzustellen, und der Autor beherrscht diese perfekt. „Die Mauer“ liest sich erschütternd und eindringlich. Die Anzahl der Protagonisten ist überschaubar, die Handlungsstränge wirken karg, und dennoch geht ein Sog von der Erzählung aus, dem man sich kaum entziehen kann. Der Ich-Erzähler ist in einem Alptraum gefangen, aus dem der Leser am Ende des Romans aufwacht und vielleicht die ein oder andere Erkenntnis gewonnen hat.

Verlag: Klett-Cotta
Seitenzahl: 348
Erscheinungsdatum: 31. Januar 2019
ISBN: 978-3608963915
Preis: 24,00 € (E-Book: 18,99 €)

Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.

12. Februar 2019

Clare Mackintosh: Deine letzte Lüge

Für diesen Thriller hatte ich mich auf dem Portal „Lesejury“ beworben, weil ich fand, dass er ziemlich vielversprechend klang. Die Autorin ist eine frühere Polizistin, die ihren ersten Beruf nach zwölf Jahren an den Nagel gehängt hat, um sich dem Schreiben zu widmen. Sie hat seitdem schon mehrere Psychothriller verfasst und schien sich also sowohl mit Verbrechen als auch mit dem Verfassen spannender Geschichten auszukennen, weswegen ich doch hohe Erwartungen an ihr Buch hatte. Diese wurden dann leider enttäuscht, aber auch das passiert eben manchmal.


In Clare Mackintoshs „Deine letzte Lüge“ hat die Mittzwanzigerin Anna bereits zu Beginn der Geschichte eine furchtbare Zeit hinter sich: Innerhalb von sieben Monaten hat sie beide Elternteile verloren. Unfassbar: Beide sind offenbar freiwillig aus dem Leben geschieden und haben sich vom Beachy Head, dem höchsten Kreidefelsen Großbritanniens, in den Tod gestürzt. Oder? Am ersten Todestag ihrer Mutter erhält Anna eine geschmacklose Klappkarte, die nur drei Wörter enthält: „Selbstmord? Von wegen.“ Für sie der ultimative Beweis, dass sich zumindest ihre Mutter nicht umgebracht hat. Und an dieser Stelle war ich dann auch schon zum ersten Mal leicht irritiert – da trauert jemand seit 19 Monaten und lässt sich dann von einer anonymen Postsendung in nullkommanix überzeugen, dass alles ganz anders war?
Natürlich muss Protagonistin Anna anfangen, Nachforschungen zu stellen, sonst wäre dieses Buch schon zuende gewesen, bevor es richtig angefangen hätte. Aber ihr Denken und Handeln erschien mir dabei längst nicht immer schlüssig dargestellt und das bleibt meiner Meinung nach eine sich durch das Buch ziehende Schwäche. Viele Charaktere verhalten sich – im Nachhinein meist grundlos – seltsam oder bleiben durchgängig sehr blass, als hätte die Autorin sie bewusst vernachlässigt, um sich mehr Optionen für die weitere Handlungsgestaltung offen zu halten. Eine Ausnahme bildet Murray, ein Polizist im Ruhestand, der als Zivilangestellter weiterhin auf einer Polizeiwache arbeitet und für den Annas Geschichte eine willkommene Ablenkung von der Sorge um seine Ehefrau ist, die unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet. Murray und auch seine Frau hat Mackintosh etwas achtsamer gestaltet, ihr Schicksal berührt, während mir Anna bald vor allem auf die Nerven ging.

Was mich an „Deine letzte Lüge“ zusätzlich gestört hat: Die Autorin versucht mehrmals, ihre Leser auf die falsche Fährte zu locken. Vollkommen legitim bei einem Thriller, könnte man einwenden, aber hier kam mir das Ganze sehr überkonstruiert vor. Zum Teil war die falsche Fährte so nachvollziehbar geschildert, dass die richtige Lösung kaum mithalten konnte. Auch die Auflösung überzeugte mich nicht komplett. Das Buch hat ein paar kaum vorhersehbare Twists, auf das Ende wäre ich von alleine sicher nicht gekommen. Aber über das öfters irritierende Verhalten der Figuren konnte mich das kaum hinwegtrösten. Die Grundidee des Psychothrillers versprach weitaus mehr, als die Autorin dann einlösen konnte. Rückblickend ist die Geschichte dann auch mehr Drama als Thriller und hat mich doch eher unzufrieden zurückgelassen.

Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 464
Erscheinungsdatum: 31. Januar 2019
ISBN: 978-3404177035
Preis: 11,00 € (E-Book: 3,99 €)

Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.